Einer wie Jürgen Trittin will bestimmt nicht als Tiger starten und als Bettvorleger landen. Die Grünen haben aus dem Fall Guido Westerwelle gelernt

Jetzt haben die Grünen also auch die K-Frage an der Hacke. Beliebt wie nie zuvor - laut Forsa-Umfrage überflügelten sie die SPD in dieser Woche überaus eindrucksvoll -, sehen sie sich plötzlich mit der Frage konfrontiert, mit der sich traditionell nur die Volksparteien zu beschäftigen haben: Wer könnte der passende Kanzlerkandidat bei der nächsten Bundestagswahl sein? Aufgrund ihrer konstanten Atompolitik, ihres Widerstands gegen Stuttgart 21 und nicht zuletzt dank des Rückenwinds aus Fukushima sind die Grünen nämlich plötzlich zur "Lebensgefühlpartei" arriviert. Wut- und Angstbürger würden massenhaft Grün wählen, wenn morgen Bundestagswahl wäre.

Bei 28 Prozent sichtet Forsa die Ökopartei, die die SPD (23 Prozent) zurzeit locker hinter sich lässt. Wenn morgen gewählt würde, wäre ein mögliches Regierungsbündnis nicht rot-grün, sondern grün-rot. Was einerseits heißt, dass die Sozialdemokraten ihre Idee, Peer Steinbrück zum Kanzlerkandidaten zu machen, erst mal wieder einmotten können; was aber auch bedeutet, dass die Grünen-Spitze mit ganz anderen Augen betrachtet wird. Claudia Roth, Cem Özdemir, Renate Künast, Jürgen Trittin - wer könnte der beziehungsweise die Richtige sein?

Der geborene Kandidat scheint der Bundestagsfraktionsvorsitzende Jürgen Trittin zu sein, immerhin ist der Mann im Kabinett Schröder sieben Jahre lang Bundesumweltminister und als solcher für die Reaktorsicherheit zuständig gewesen. Und die zuweilen unverbindliche, ja geradezu ruppige Art des 56-jährigen Bremers könnte angesichts der aktuellen Lage durchaus positiv in die Wagschale fallen. Zumindest, solange die Atomdebatte anhält. Forsa-Chef Manfred Güllner hat bereits erklärt, dass es richtig sein könnte, über einen grünen Kanzlerkandidaten nachzudenken. Vorausgesetzt, der Trend halte für die Grünen weiter an. Die wiegeln natürlich ab. Wohl wissend, dass sich Umfragen als Schall und Rauch erweisen können. Oder als Erwartungsvorschuss, der dem Spitzenkandidaten dann wie Blei in den Kleidern hängt. Von der Möglichkeit, sich lächerlich zu machen, gar nicht zu reden. Schließlich hat hierzulande noch jeder sehr gut in Erinnerung, was 2002 aus dem Kanzlerkandidaten Guido Westerwelle geworden ist: nichts. Der Mann, der damals Monate lang mit einer gelben "18" unter den Schuhsohlen herumlief und im "Guidomobil" durchs Land brauste, landete mit seiner Partei am Ende bei vergleichsweise kümmerlichen 7,37 Prozent. Als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet, pflegt man in so einem Fall zu sagen.

Dabei hatte damals alles so schön angefangen. Im Mai 2002 in Mannheim. Dort hatte Westerwelle den 660 Delegierten pathetisch zugerufen: "Ich bitte um Ihren Auftrag, als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl zu gehen!" Und: "Im vorigen Jahr wäre es Übermut gewesen, es zu tun - jetzt wäre es Kleinmut, es nicht zu tun!" Einen eigenen Kanzlerkandidaten zu stellen sei "das gute Recht" der Liberalen! Und die 660 hatten ihm begeistert zugejubelt.

Die Sozialdemokraten, die dann mit Gerhard Schröder wieder den Kanzler stellten, sprachen später genüsslich von "Trallala" und "kollektivem Realitätsverlust" in der FDP.

Tatsächlich hat die Sache den Liberalen nachhaltig geschadet. Nicht nur, dass die Strategie, "mit neuen Formen der Kommunikation und Darstellung neue Wählerschichten" zu erreichen, nicht gezündet hatte - schlimmer war, dass die Konkurrenz anschließend noch jahrelang hämisch über die "Spaßpartei" und ihren glücklosen Kanzlerkandidaten herzog. Und schon deshalb werden die Grünen den Teufel tun und jetzt einen eigenen Kanzlerkandidaten ausrufen.

"Wir werden nicht den Fehler wiederholen, den eine andere Partei gemacht hat, die trunken von lauter Umfragen einen Kanzlerkandidaten ausrief und sich Zahlen auf die Schuhsohlen malte!" Diese Parole hat Jürgen Tritten schon vor sechs Monaten ausgegeben, als die Grünen die SPD in den Umfragen zum ersten Mal überholte. Überhaupt gab sich die Partei betont zurückhaltend. Aus der Berliner Zentrale hieß es damals knapp, dass man vorhabe, auf dem Teppich zu bleiben und dass man die schönen Umfragewerte bestenfalls als Arbeitsauftrag begreife, sich noch mehr anzustrengen ...

An dieser Strategie hielten die Grünen auch in dieser Woche fest.