Im Frühling bricht auch in einer Großstadt wie Hamburg die Gartenlust aus. Auch wenn's nur ein Balkon ist. Eine Rushhour im Gartencenter.

Ohrenbetäubendes Kratzen klingt aus der Pflanzgefäße-Abteilung. Godzillas Krallen auf einer Tafel? Nein: Eine ältere Dame zerrt einen schweren Terrakottakübel unter dem Schautisch hervor. Unter Hunderten will sie diesen einen. Dreht ihn auf dem Steinboden, bis sie das Preisschild sieht. Dann richtet sie sich auf und stemmt zufrieden die Hände in die Hüften. Der Kübel hat eine neue Gebieterin.

Im Gartencenter Dehner an der Maldfeldstraße in Marmstorf herrscht Hochbetrieb. Der Parkplatz ist voll, ganze Hundertschaften schieben sich durch die Gänge. So wie die Hummeln an diesem Sonnentag in die ersten Blüten einfallen, so fällt Hamburg über die Gartenmärkte her. Und all diese Hamburger Hummeln verlangen nach Grün.

Ingo und Astrid Kautsky aus Wilstorf haben Töpfe mit Primeln, Stiefmütterchen, Vergissmeinnicht und Efeu in ihren Einkaufswagen gepackt. "Hauptsache bunt", sagt Herr Kautsky fröhlich, "alles, was eben im Frühjahr Herz und Seele erfreut." Für die genaue Planung des Reihenhausgartens ist offenbar Frau Kautsky zuständig: "Die Pflanzen hier kommen aber in die Kästen, nicht in die Rabatten", sagt sie.

Was Herz und Seele nach dem dunklen Winter erfreut, ist vor allem die Primel, schon am Eingang die Königin des Tages in knalligen Farben. Frühling ohne Primeln, das ist so undenkbar wie Krabben ohne Mayo. Es gibt sie in Gelb, Blau, Rot, Rosa, sogar mit gefüllten Blüten, womöglich irgendwann auch in Türkis oder Silbermetallic. Millionen Primeln werden in diesen Tagen in Deutschland verkauft, allein bei Dehner warten Zigtausende auf ihre Bestimmung. Alle prächtig erblüht, wie für diesen Tag bestellt.

Wie viele dieser Blumenart Marktleiter Matthias Schröder ordern muss, "ist Erfahrungssache, das haben wir alles im Gefühl". Die unternehmensnahe Gärtnersiedlung im bayerischen Rain und rund zehn regionale Gärtnerbetriebe sorgen für eine punktgenaue Primel-Belieferung ab Februar. Aber es könne auch mal schiefgehen, sagt Schröder. Wenn das Wetter lange kalt und regnerisch bleibt, kauft noch niemand Primeln. Wird das Wetter dann schön, können nicht mehr genug geliefert werden, weil in den Gewächshäusern schon die Sommerblumen nachrücken.

Die Frühlingssonne weckt nicht nur die Primelnachfrage, sondern auch die menschliche Gestaltungsfreude. Tausenden Hobbygärtnern scheinen plötzlich ungeahnte grüne Baustellen ins Auge zu fallen. Draußen auf der Verkaufsterrasse steht das Ehepaar Kohrs aus Seevetal, beide Mitte 30, sie, etwas angespannt, bei den Lorbeerkübeln und erörtert die Vorteile eines Sichtschutzes: Sie wollen ihren Gartenzaun bepflanzen. Kirschlorbeer gibt es hier von kniehoch bis mannsgroß. Heiko Kohrs bevorzugt "etwas Höheres". Die Frage ist nur: als Busch oder als Bäumchen? Braucht Kirschlorbeer ganz normale Gartenerde oder was Besonderes?

Die Rentnerin Ingrid Pingel-Jescheniak kommt aus Buxtehude und hat sich eine Bekannte zur Unterstützung mitgebracht. Über ihrem Wagen wippen die federartigen Rispen einer rosa Astilbe. Und wie heißen die da mit den prächtigen magentafarbenen Blüten? Osteospermum. Klingt wie eine Sonderzüchtung für rachitische Männer. "Ich habe einen Schrebergarten!", sagt Frau Pingel-Jescheniak stolz, greift sich meinen Notizblock und beginnt, ihren Garten aufzuzeichnen. "Hier vorn ist ein Rosenbogen, da hinten eine Laube, da der Brunnen, und hier vorne ..." - sie malt drei kleine Kreise - "... ist ein Weg aus Sand und Kies." Rund um den Rasen habe sie Rosen und Buchsbaum gepflanzt und am Brunnen Hänge-Erdbeeren aufgehängt. Wie der Name schon sagt. "Wenn Sie mal in Buxtehude sind, müssen Sie sich unbedingt meinen Schrebergarten ansehen!"

Rosenbogen, Brunnen, Steine - Garten ist heute viel mehr als Beet und Obstbaum. Garten ist der Raum, in dem sich Freizeit-Ästhetik entfaltet, manchmal überbordend. Und diese Ästhetik ist heute globalisiert: Wer sucht, findet Gartendekor und Skulpturen aus so gut wie jedem Kulturkreis. Auf der Verkaufsterrasse stehen Aztekengötter für Anden-Fans neben nordischen Trollen und keltischen Drachen. Freunde des Mittelmeerraums finden Amor-Putten mit und ohne Pfeil neben italienischen Renaissance-Schönheiten, steinerne Frösche und Schnecken neben kunstgeschmiedeten Störchen und Adlern. Und Buddhas. Wenn Sie vor Ihre Laube einen lachenden dickbäuchigen Glücksbuddha aus China setzen (den es im Handel schon um 280 Euro gibt), wissen Besucher gleich: Aha, hier wohnt ein sinnenfroher Mensch. Wenn vor Ihrem Apfelbaum der schlanke thailändische Buddha thront - im Lotussitz, erleuchtet, mit geschlossenen Augen (um 400 Euro) -, spricht der Besuch gleich etwas leiser.

Denn Garten ist auch Kontemplation. Still im Schatten sitzen und sinnen, statt klappernde Tastaturen und fiepende Drucker zu hören, danach lechzt der moderne Büromensch. Es animiert archaische Erfahrungen, bis zu den Ellbogen in der Erde zu wühlen, alles um sich herum zu vergessen. Im Garten spüren wir die Jahreszeiten. Er beruhigt, er atmet. Das haben schon Chopin, Heine und Hölderlin genossen. Goethe überließ die Bodenarbeit seiner Frau Christiane. Aber er muss abends im Garten gesessen und gelauscht haben: "Die Nachtigall, sie war entfernt, der Frühling lockt sie wieder; Was Neues hat sie nicht gelernt, singt alte, liebe Lieder ..."

Immer mehr Menschen entspannen sich am besten, wenn Wasser murmelt. In der Brunnenabteilung haben sich Jürgen Zander und Lebensgefährtin Irma Kaus gerade für ein Modell mit drei gestuften Granitsäulen entschieden. "Es soll etwas Modernes sein", sagt Herr Zander, ein jovialer Mittfünfziger, Typ Lehrer. Der Pumpenkasten kann entweder oberirdisch stehen, oder man gräbt ihn ein. Frau Kaus entdeckt aber jetzt doch einen alternativen Brunnen: Zwischen zwei rauen, wellenförmigen Naturstein-Seiten rinnt das Wasser über eine glatte Fläche. "Denselben Brunnen hat meine Tochter", sagt Frau Kaus, "mit LED im Farbwechsel, guck mal, Schatz!" Herr Zander, der sich wahrscheinlich schon die Stromleitung vorstellt, die er verlegen muss, interessiert sich mehr für einen Kugelbrunnen aus geraffeltem Granit.

Bis jetzt ist weit und breit kein Gartenzwerg in Sicht. Doch, da hinten stehen welche. Aber sie sind heute "kaum noch ein Thema", sagt der Marktleiter. Ein immer größeres Thema dagegen ist die sogenannte "Gartenhartware", die 2010 ein Marktvolumen von 5,3 Milliarden Euro erreicht hat: Das sind Brunnen, Dekor und Outdoor-Ausstattung wie Gartenmöbel. Nimmt man noch den Bereich "Lebendes Grün" hinzu - Pflanzen, Sämereien, Schnittblumen -, dann werden in den Segmenten Garten/Outdoor in Deutschland jährlich rund 14,4 Milliarden Euro umgesetzt. Als Lebensbereich gewinnt der Garten seit Jahren an Bedeutung, schreibt das Marktforschungsinstitut BBE Retail Experts in einer Studie 2010. Immer mehr Menschen betrachten Garten, Terrasse und Balkon als "verlängertes Wohnzimmer".

Am deutlichsten wächst das Segment der Grillgeräte. Es gibt Menschen, für die das Grillen noch eine mobile provisorische Angelegenheit ist, die sich seit der Hunnenzeit nicht wesentlich weiterentwickelt hat. Diese Menschen kommen mit dem Alu-Dreibeiner aus der Tankstelle aus. Andere hingegen wollen grillen wie Bill Gates und am liebsten auch im Winter - an einem Designergrill. Den können sie haben. Zum Beispiel den Kugelgrill "One Touch Premium" der Firma Weber - "Johann Lafers Editions" -, 67 Zentimeter Durchmesser, mit Holzbrett und Deckelthermometer. Oder die elegante "Black Line"-Ausführung mit elektrischer Zündung und Warmhalterost. Solche Luxusgrills kosten schon mal einen halben Tausender, etwas mehr als der Thai-Buddha. Im Internet werden komplette Outdoor-Küchenangebote, Edelstahl, Naturstein, Teakholz angeboten, die teurer sind als eine gute Einbauküche.

Familie Wickmann hat ganz andere Vorstellungen: Sie möchte ihren Garten kinderfreundlich gestalten, sagt Jan Wickmann, selbstständiger Lektor. Im Einkaufswagen stapelt sich "die Erstausstattung für dieses Jahr": eine Bougainvillea, ein Mandelbäumchen, Gänseblümchen, einen Beutel mit rundgeschliffenem Kiesel, Terrakottatöpfe, eine Harke und Rasendünger. Die Eltern möchten etwas fürs Auge, Sohn Leo und Baby Mia brauchen Rasen zum Kriechen und Spielen. Irgendwann später verlangen die Kinder dann nach Naschpflanzen, Erdbeeren oder Tomaten. Oder Radieschen. Und haben wir nicht alle in Grundschulzeiten mal Feuerbohnen gezogen?

Alexa Murawski ist im Gartencenter die Herrin über Kräuter und Gemüse. "Die Leute haben sich auf meine Tomaten gestürzt, als gäbe es morgen keine mehr", sagt die diplomierte Garten- und Landschaftsarchitektin. Weil die Kunden heute experimentierfreudiger geworden sind, stehen in den Regalen ihrer Abteilung nicht nur Töpfe mit Kohlrabi, Erbsen, Rauke, Rettich, Zucchini und Salaten, sondern auch diverse Sorten aus Südeuropa und sogar aus Asien wie zum Beispiel Wasabi. Es riecht durchdringend nach Thymian.

Sogar blühenden Lavendel gibt es schon. "Dafür ist es viel zu früh", sagt eine Dame neben mir in bestimmtem Ton. In den Lavendel setzt sie offenbar nicht allzu viel Vertrauen: "Wenn Sie den jetzt pflanzen, ist er im Sommer ganz spakig." An der Gerätewand studiert ein älterer Herr intensiv das Gartenscheren-Angebot, die Hände hinterm Rücken gefaltet. Seine Frau häuft währenddessen Sukkulenten in ihren Wagen, hübsche kleine Pflanzen aus Trockengebieten mit fleischigen Blätterrosetten. Auf der unteren Ablage ihres Wagens stapeln sich ein paar weite Terrakotta-Pflanzschalen. Da beginnt wohl ein toskanischer Feldversuch. Vielleicht hat sich das Paar ja in der Toskana kennengelernt. Oder in einem Steinbruch auf Korfu ... Oder am See Genezareth ...

Ach, im Gartencenter treibt die Fantasie ziemlich wilde Blüten.