Was der Reaktorunfall von Tschernobyl vor 25 Jahren für den Umgang mit radioaktiven Lebensmitteln nach der Atomkatastrophe von Fukushima lehrt

So war es schon vor 25 Jahren: Die Menschen in Deutschland sollten sich hinsichtlich der Radioaktivität aus Tschernobyl keine Sorgen machen. "Fukushima ist weit weg, und nur die Angst vor der Strahlung macht krank", so hört man es auch heute von vielen atomkraftaffinen Wissenschaftlern. Somit sind die Mitarbeiter der Verbraucherzentrale bezüglich der Risikokommunikation wieder in Tschernobyl angekommen. Alles schon mal gehört. Als "Strahlenhysteriker" beschimpft oder als "Bequerellis" (Bequerel = Maßeinheit für radioaktive Belastung) verspottet: So war es 1986, als sich viele Menschen Gedanken über belastetes Essen machten.

Die schleppende, widersprüchliche Informationspolitik der Kraftwerksbetreiber in Japan, die teilweise sehr dilettantisch wirkenden Versuche zur Beherrschung der Strahlenruine: ein bekanntes Problem aus der Tschernobylzeit. Evakuierungszone zu klein, die Verstrahlung von Arbeitern im AKW in Kauf nehmend - genauso war es auch schon 1986.

Was ist heute anders? Die Strahlenangst in Deutschland ist ungleich niedriger, denn die radioaktive Wolke ist glücklicherweise nicht über Europa gezogen. Daher ist die Gefährdungslage ungleich niedriger. Aber es bestehen berechtigte Zweifel, dass radioaktive Lebensmittel für uns gar kein Thema sein werden. Nicht nur die Gegend um Fukushima ist verstrahlt, sondern die Radioaktivität wird auch Gebiete in größerer Entfernung erreichen und somit die Lebensmittel dort belasten. Im asiatischen Raum, aber auch in Kanada oder an Amerikas Westküste muss man damit rechnen. Die Lage in Fukushima bleibt weiterhin extrem gefährlich und unberechenbar, zumal die Strahlenkatastrophe dort noch Monate andauern wird. Immer mehr belastete Lebensmittel werden dort gefunden, zurzeit sind es Milch, Gemüse, Trinkwasser oder Rindfleisch. In Taiwan wurden belastete dicke Bohnen aus Nordjapan identifiziert, in Thailand Süßkartoffeln.

So wird es weitergehen, das ist nicht das Ende der Fahnenstange, sondern erst der Anfang - auch das hat Tschernobyl gelehrt. Belastete Fische vor Japans Küsten könnten hinzukommen, Muscheln, Algen, grüner Tee usw. Vielleicht gibt es ausreichende Verdünnungseffekte im Wasser, helfen große Entfernungen zwischen Teeanbaugebieten und den strahlenden Reaktorruinen. Aber niemand weiß, wohin der radioaktive Wind wehen wird.

Reicht der Schutz vor einer eventuell schleichenden Verseuchung der Lebensmittel? Zwar wurden per Notverordnung einige sinnvolle Kontrollmaßnahmen sowie Pflichtuntersuchungen festgelegt. Doch was nützen diese, wenn zeitgleich klammheimlich die Grenzwerte bei den meisten Lebensmitteln von 600 Bequerel auf 1200 Bequerel - also auf das Doppelte - erhöht werden? Bei bestimmten Lebensmitteln wie Fischöl oder Gewürze sind sie sogar 20-mal so hoch. Ein Kommunikations-GAU der EU, der Notwendigkeit geschuldet, dass der Handel auf Biegen und Brechen mit bestimmten Importeuren aufrechterhalten werden soll? Selbst in Japan sind die Grenzwerte deutlich niedriger. Sollen hier - etwas zynisch ausgedrückt - belastete Lebensmittel in Europa entsorgt werden, die weder in Japan noch in den USA oder in anderen Teilen der Welt durch Importstopps oder niedrigere Grenzwerte verkehrsfähig wären?

Einige Anbieter gehen eigene Wege. So teilte der Bundesverband der deutschen Fischindustrie mit, dass verstärkt Untersuchungen stattfinden. Die ersten 22 Fischproben waren ohne erhöhte Belastung. Fakt ist, dass ernst zu nehmende Wissenschaftler darauf hinweisen, dass ein Minimierungsgebot gelten sollte. Neben der natürlichen Radioaktivität in unserer Umgebung sollte die künstliche, das heißt von Menschen geschaffene Radioaktivität so niedrig wie möglich sein. Insbesondere auch für Lebensmittel, da sich das radioaktive Cäsium in unserem Körper anreichert. Und das jahrzehntelang. Es gibt keine unschädliche Radioaktivität, auch Ärzte müssen ständig Nutzen und Risiko der Strahlenwirkung verantwortungsvoll abschätzen. Auch die jetzigen Grenzwerte sind nicht toxikologisch begründet, sie stellen ein Zugeständnis an die Verstrahlung nach Katastrophen dar. Besonders gefährdete Gruppen sind Schwangere, stillende Mütter, Kinder oder Kranke mit eingeschränktem Immunsystem. Daher wird die Verbraucherzentrale auch zukünftig die Ergebnisse der Strahlenmessungen ins Internet stellen, auch wenn die Werte zurzeit nur scheibchenweise bekannt gemacht werden - genauso wie nach Tschernobyl. Fukushima ist überall, und eine gesunde Portion Vorsicht ist angebracht.