Fahrer wegen Unfalls im Drogenrausch zu Bewährungsstrafe verurteilt. Fußballidol ist seither auf einem Ohr taub.

Harburg. Zur eigenen Gerichtsverhandlung erscheint der Angeklagte mit einstündiger Verspätung - zwangsweise vorgeführt von zwei Polizisten, die ihn auf Geheiß des Harburger Amtsrichters bei seiner Freundin abgeholt haben. Auf dem Weg in den Gerichtssaal muss Eugen G. im Flur an Werner Treimetten vorbei. "Einfach nur dreist", sagt Treimetten, finde er dieses Gebaren. Der 22-Jährige erklärt später, er habe in der Nacht zuvor gefeiert und deshalb verschlafen.

Werner Treimetten managt die Hamburger Fußballikone Uwe Seeler, 74. Seit 30 Jahren fährt er Seeler mit seinem Auto zu Geschäftsterminen - bis zum 24. Juli unfallfrei.

An jenem Tag, um 22.45 Uhr, ist Treimetten mit seinem Schützling auf der A 7 in Richtung Norderstedt unterwegs, als sich von hinten ein BMW rasend schnell nähert. Am Steuer: Eugen G. Der 22-jährige Arbeitslose ist im Rausch, hat 1,5 Promille Alkohol und Kokain intus - der BMW gehört seinem Vater, einen Führerschein besitzt er nicht. Kurz vorm Elbtunnel rammt er den Mercedes von Treimetten mit Tempo 220. "Plötzlich gab es einen Riesenknall, der Airbag kam raus, Talkum-Staub überall, der Wagen drehte sich, wurde gegen die Leitplanke geschleudert. Wir dachten, wir fliegen über den Wolken", sagt Treimetten. Seeler hat offenbar eine ganze Armada von Schutzengeln auf seiner Seite. "Das Seitenfenster war aus der Führung gesprungen, stand nahezu rechtwinklig im Auto, dort, wo Uwe saß", sagt er.

"Nicht auszudenken, was hätte passieren können." Diese Szene erlebe er im Traum wieder und wieder, sagt der 68-Jährige. Er erlitt einen Rippenbruch und Verbrennungen am Unterarm, Seeler eine Kopfplatzwunde, die sich später noch entzündete. Seit dem Unfall ist er auf dem rechten Ohr taub. Und: Gerade erst mussten Knochensplitter aus der Wirbelsäule des Kult-Kickers operativ entfernt werden. Frisch aus der Klinik entlassen, ginge es ihm "den Umständen entsprechend gut", sagte Seeler am Freitag dem Abendblatt. Er müsse Tabletten und Medikamente schlucken, seine Ehefrau Ilka pflege ihn fürsorglich. Er hege keinen Groll gegenüber Eugen G., aber: "Er muss bei der Wahrheit bleiben, sollte keine falschen Geschichten erzählen."

Diesen Gefallen tut ihm Eugen G. nicht. In seiner schriftlichen Einlassung hatte der 22-Jährige behauptet, Treimetten und er hätten sich ein Wettrennen geliefert. Auf der A 7 habe ihn Treimetten "mehrfach bedrängt". Eine Version, die die Beweisaufnahme als Nonsens entlarvt: Computerchips in beiden Autos hatten die Geschwindigkeit beim Unfall aufgezeichnet. Demnach fuhr Treimetten vorschriftsmäßig mit 79 km/h, Eugen G. hatte indes 220 km/h auf dem Tacho. Der wuchtige Aufprall beschleunigte die schwere Mercedes-Limousine sogar noch auf 90 Stundenkilometer. Das Ausmaß der Zerstörung war verheerend: "Es war ein riesiges Splitter- und Trümmerfeld", sagt eine Polizistin. Geschätzte Reparaturkosten des Mercedes: 82 000 Euro.

Eugen G., geboren in Russland, sitzt in schwarzer Jacke vorm Richter - ohne Verteidiger. Das ist ziemlich verwegen oder zeugt von einer beschränkten Sichtweise, zumal der 22-Jährige aus Neuwiedenthal einiges auf dem Kerbholz hat: Sieben Verurteilungen listet das Bundeszentralregister auf, als Jugendlicher hat ihn das Gericht wegen sexueller Nötigung in den Jugendarrest geschickt, erst im Oktober 2009 wurde er nach einer Trunkenheitsfahrt ohne Führerschein zu einer Geldstrafe verdonnert. Am Freitag schweigt er. Kein Wort der Reue, kein Wort der Entschuldigung. Eugen G. vermittelt den Eindruck, ihm sei alles egal. So wie am 24. Juli, als er den Straßenverkehr, voll gepumpt mit Alkohol und Kokain, "vorsätzlich" gefährdet und alle Folgen billigend in Kauf genommen habe, sagt der Staatsanwalt, der eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten fordert - ohne Bewährung.

Dieser Wertung folgt auch der Richter, er setzt die Strafe jedoch zur Bewährung aus, da dies Eugen G.'s erste Freiheitsstrafe als Erwachsener sei. Zudem darf er frühestens im Juli 2013 seinen Führerschein machen.

Für den Landesvorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, fällt das Urteil vom Freitag zu milde aus. "Es sind Urteile wie diese, die die Bürger am Rechtsstaat zweifeln lassen."