Die Maßnahmen zur Euro-Rettung zielen zwar in die richtige Richtung, aber ihnen fehlt die rechtliche Bindung, urteilt der Wirtschaftsexperte

Vor dem Hintergrund der japanischen Atomkatastrophe und der gleichzeitigen Libyen-Krise hat der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs kürzlich in Brüssel überraschend geräuschlos ein umfangreiches Paket verschiedener Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro beschlossen. Obwohl manche Einzelheiten seit Herbst letzten Jahres bekannt sind, bedurfte es doch noch einer seit Jahren nicht mehr erlebten Kraftanstrengung der Regierungen, sich auf dieses Reformwerk zu einigen.

Es ist schon beachtlich, in einem Atemzug einen europäischen Stabilisierungsmechanismus, einen Euro-Plus-Pakt, eine Änderung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und eine Änderung des Lissabon-Vertrages konkret auf den Weg zu bringen. Alle Beschlüsse - die natürlich von den Parlamenten noch ratifiziert werden müssen - gehen in die richtige Richtung einer Stabilisierung des Euro als unserer gemeinsamen Währung und sind daher grundsätzlich zu begrüßen.

Analysiert man die ausführlichen Gesetzestexte und umfangreichen Anhänge im englischen Original jedoch etwas genauer, so gibt es neben begrüßenswerten konkreten Vorgaben wieder Absichtserklärungen ohne rechtliche Bindungen. Dies möchte ich an Beispielen aus den zwei wichtigsten Reformprojekten deutlich machen und darüber hinaus mögliche Folgen für Deutschland aufzeigen.

Das erste bedeutende Reformvorhaben ist der Europäische Stabilitäts-Mechanismus (ESM), der als permanenter Rettungsschirm für gefährdete Euro-Länder ab Juni 2013 den vor einem Jahr eingerichteten Hilfsfonds ablösen soll. Sein Kreditrahmen, der maximal zur Stabilisierung des Euro eingesetzt werden kann, beträgt 500 Milliarden Euro. Um von den Ratingagenturen die Bestnote zu erhalten, muss er mit 700 Milliarden Euro Kapital ausgestattet werden, davon sind 80 Milliarden bar einzuzahlen, der Rest besteht aus abrufbarem Kapital und Garantien. Deutschland muss gemäß den Verträgen 27 Prozent davon leisten, das heißt wir stehen für 190 Milliarden Euro gerade und müssen davon ab 2013 aus dem Bundeshaushalt 22 Milliarden abzweigen.

Die Bundesregierung hat zwar eine "Ratenzahlung" durchgesetzt, sollte aber lieber den Mut finden, die Öffentlichkeit endlich darüber aufzuklären, dass wir mit dieser Haftung bereits mitten in einer europäischen Transferunion angekommen sind.

Gut und konkret formuliert sind im ESM-Entwurf allerdings die Bedingungen, unter denen ein Euro-Land finanzielle Kapitalhilfe bekommen kann: einstimmige Zustimmung der Partnerländer sowie ein strenges und von der EU-Kommission akzeptiertes Reform- und Konsolidierungsprogramm. Vor allem aber ist wichtig, dass die Hilfe nur gewährt werden darf, wenn sie für die Stabilität der "gesamten Eurozone unerlässlich" ist.

Gegenüber diesen begrüßenswerten Prinzipien weist der ESM zwei erhebliche Mängel auf. Um den Steuerzahler nicht allein zu belasten, sollen ab 2013 auch die privaten Gläubiger bei einer Quasi-Insolvenz eines Euro-Landes mit zur Kasse gebeten werden. Das ist richtig, aber die Formulierung, dass das Land eine "hinreichende Verpflichtung" (sufficient commitment, Anhang II, S. 30) seiner privaten Gläubiger nachweisen muss, ist viel zu schwammig, um in der Praxis zu funktionieren.

Des Weiteren ist es dem ESM erlaubt, Staatsanleihen eines in schwere Turbulenzen geratenen Euro-Landes direkt aufzukaufen (sogenannter Primärmarkt). Da keine Höchstgrenzen angegeben sind, kann dieses Instrument missbräuchlich angewendet werden.

Das zweite große Reformvorhaben ist der sogenannte Euro-Plus-Pakt, der die Wirtschaftspolitik der Euro-Länder stärker aufeinander abstimmen und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Europäischen Union verbessern soll. Das maßgeblich auf deutschen Vorstellungen beruhende Reformvorhaben will die Löhne an die Produktivität der einzelnen Länder koppeln, die Arbeitsmärkte flexibilisieren, ein finanzierbares Renten- und Gesundheitssystem in der EU verwirklichen und die Steuern harmonisieren.

Man ist als Wirtschaftwissenschaftler begeistert von diesen löblichen Absichten - bis man am Schluss von Anhang I (Seite 20) liest, dass alle Maßnahmen zur Erreichung der ehrgeizigen Ziele einzig und allein den einzelnen EU-Staaten überlassen bleiben.

Von gemeinsamer Verantwortung ist nicht die Rede. Das kommt uns bekannt vor.

Karl-Werner Hansmann, 66, ist Professor für Wirtschaft an der Universität Hamburg