Was für ein Bild habe ich von Jesus? Ich bin immer wieder allein in den Bergen unterwegs, oft für eine ganze Reihe von Tagen. Da ist man für sich, sich selber ausgesetzt mit seinen Gedanken und Ängsten, auch mit den Grenzen der Kraft. Plötzlich ließ mich die Frage nicht mehr los: Wer ist Jesus für dich, den Mann der Kirche?

Du bist mit so vielen Leuten zusammen, du stehst immer wieder als Gottesmann vor ihnen. Wie sieht Jesus aus? Bilder von Jesus? Natürlich gibt es keine Fotos, keine Marmor- oder Steinköpfe wie für die Großen seiner Zeit.

Man verehrt seit ältesten Zeiten eine Ikone als das wahre Abbild Jesu. Viele kennen das Turiner Leichentuch. Es zeigt den Abdruck eines an einem Kreuz Gestorbenen mit einem edlen, erhabenen Gesicht. Aber das bleibt alles umstritten. Und die ungezählten Jesusbilder in unserer Geschichte - Gemälde, Figuren, Bilder in großen Filmen - sie tragen immer Züge des Zeitgeistes und des jeweiligen Geschmacks. Der Papst hat geraden den zweiten Band seines großen Jesusbuches veröffentlicht. Er beschreibt Jesus in eindrucksvoller Weise und zeigt: Auf die Bibel ist Verlass. Sie hat keine Erfindungen über Jesus in die Welt gesetzt. Er hat sich ganz in der Einheit mit Gott verstanden, als der Sohn Gottes. So stellt ihn die Bibel uns mit Recht vor Augen. So beschreibt sie in vielen Facetten das Bild von Jesus.

Aber wie sieht Jesus nun aus? Bei allem Grübeln schoss es mir plötzlich in den Kopf: Jesus trägt die Züge eines jeden Menschen, ob Mann, ob Frau, ob jung, ob alt, gesund, krank, elend, glücklich. Ich sehe Jesu Gesicht gerade in diesen Tagen in den Bildern der Menschen aus Japan, der so furchtbar Gezeichneten, der Toten, der Verzweifelten. Gott gibt keinen Menschen auf, er bleibt jedem nahe. Dafür steht Jesus, das gibt uns Mut und Kraft.

Wer Jesus sehen will, schaue in die Gesichter der Menschen. Diese Einsicht ermutigt und tröstet mich. Sie schenkt mir einen neuen Blick: für die vielen, denen ich begegne, in der Kirche und unendlich weit darüber hinaus. Für die Sympathischen und all die anderen, ganz besonders für die Opfer und ihre unbegreiflichen Leiden, die Menschen aushalten müssen.

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