Die Schäden durch das Beben werden die Weltwirtschaft kaum beeinflussen. Aber das Reaktor-Unglück verschärft die ohnehin nicht gelösten Finanzkrisen, so der Ökonom

Nichts ist Japan erspart geblieben. Erst die Erdbeben, dann der Tsunami, schließlich die Explosion der Atomkraftwerke. Tausende Tote, Hunderttausende, die Angehörige, Freunde, Hab und Gut, Obdach und Zuhause verloren haben. Kein Zweifel: Was der 11. September für die USA ist, wird der 11. März für Japan werden: eine unauslöschliche, traumatische Erinnerung im kollektiven Gedächtnis einer Gesellschaft, die schicksalhaft mit der Erdbebengefahr gelebt und bisher fast naiv die Risiken der Kernkraft ausgeblendet hatte.

Für Japan sind die Naturkatastrophe und das AKW-Desaster eine Tragödie. Für die Weltwirtschaft sind die unmittelbaren ökonomischen Folgen gering - so zynisch das angesichts der menschlichen Dramen klingen mag und vorausgesetzt, die nukleare Katastrophe eskaliert nicht weiter.

Der entscheidende Grund dafür liegt darin, dass Japan nur begrenzt in die weltweite Arbeitsteilung eingebunden ist. Japan exportiert zwar viel, importiert aber außer Energie und Rohstoffen vergleichsweise wenig. Der Wert aller eingeführten Waren und Dienstleistungen erreicht gerade 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). In Deutschland liegt diese Importquote bei etwa 40 Prozent. Deshalb zieht Japan mit seinen Importen nicht die Weltwirtschaft nach vorne. Im Gegenteil wird es auf seiner Exportseite von der Weltwirtschaft geschoben. Nippon ist keine Lokomotive der Weltwirtschaft, sondern ein Wagen, der mitgezogen wird. Fällt Japan aus, verliert die Weltkonjunktur kaum an Fahrt.

Das Problem für die Weltwirtschaft liegt andernorts. Normalerweise würde eine einzelne Naturkatastrophe - bei allem menschlichen Elend - nicht zu nachhaltigen makroökonomischen Folgekosten führen. Krisenbedingte Produktionsausfälle könnten zunächst durch Lagerabbau und später durch Zusatzschichten weitgehend ausgeglichen werden. Mehr noch: Oft gibt es nach Katastrophen eine "Sonderkonjunktur", ausgelöst durch staatliche Wiederaufbauprogramme, so wie nach dem Beben von Kobe 1995. Aber die heutige Katastrophe ist nicht "normal", weil die Trilogie von Erdbeben, Tsunami und Nuklearkatastrophe zu wesentlich größeren Schäden führte. Die Situation ist deshalb ganz anders, weil sie nicht ein einmaliges schreckliches Ereignis abbildet, das zeitlich begrenzt bleiben wird. Der nukleare GAU wird lange kostspielige Nachwirkungen mit sich ziehen, wie Tschernobyl lehrt. Alleine die unmittelbaren Folgen der radioaktiven Verseuchung um das AKW Fukushima werden über Jahre immense Summen verschlingen. Dazu kommen gewaltige Kosten, um die zerstörten Reaktoren mit einem Sarkophag abzuschotten, um weiteres Austreten von Radioaktivität zu verhindern.

Vor allem wird man weltweit bei der Kernkraft nicht zur Tagesordnung zurückkehren können. Entweder kommt es zum Ausstieg aus der offensichtlich nur scheinbar billigen Kernenergie. Oder es wird an ihr festgehalten, aber unter verschärften, die Kosten treibenden Sicherheitsstandards. Insgesamt werden durch einen globalen Rückgang oder gar einem Ausstieg aus der Kernkraft die Energiepreise zunächst weltweit steigen, auch in Deutschland. Keine guten Aussichten.

Steigende Energiekosten werden die ohnehin labile Weltkonjunktur zusätzlich belasten. Sie bringen die Weltwirtschaft noch mal ein Stück näher an den ökonomischen GAU, die größte anzunehmende Unsicherheit. Aus der US-Immobilienkrise war eine Bankenkrise, dann eine Finanzmarktkrise, dann eine Staatsschuldenkrise und schließlich eine Währungskrise in USA und im Euro-Raum geworden. Keine dieser Krisen ist nachhaltig gelöst. Vor allem die systemischen Finanzmarktrisiken sind nicht bereinigt. Dazu kommen die politischen Turbulenzen im öl- und gasreichen arabischen Raum und Nordafrika. Es bleibt offen, wie viele Tiefschläge die Weltwirtschaft noch verkraften kann oder ob am Ende die japanischen Erdbeben und deren ökonomischen Schockwellen auch in Europa zu bedrohlichen Erschütterungen führen.

Prof. Dr. Thomas Straubhaar, 53, ist Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts