In seiner Mentalität sind Begriffe wie Rache und Vergeltung tief verankert. Mit einem Angriff auf Libyen hatt er nicht gerechnet, meint der Nahost-Experte.

Es hätte so schön sein können. Erst stürzt der tunesische Diktator, dann der ägyptische und schließlich Gaddafi in Libyen, neben Saddam Hussein der schlimmste Gewaltherrscher der arabischen Welt. Zunächst schien die Revolte in Libyen erfolgreich zu sein, die Rebellen rückten von Tobruk und Bengasi im Osten in Richtung der Hauptstadt Tripolis im Westen vor. Gaddafi schien am Ende zu sein.

Doch es kam anders. Fast hätte er die Revolte vollständig niedergeschlagen und die Millionenstadt Bengasi wieder eingenommen. Anders als in Tunesien und Ägypten hat sich das Militär in Libyen nicht auf die Seite der Bevölkerung gestellt.

Gaddafis Elitetruppen sind privilegiert, seine Stammespolitik der letzten 42 Jahre, zeit seiner Herrschaft, zahlt sich aus. Durch Druck oder Geld machte er sich die großen Stämme des Landes gefügig. Und wahrscheinlich kämpfen Gaddafis Gefolgsleute nicht allein. Angeblich haben Piloten der algerischen Luftwaffe Angriffe auf Stellungen der Rebellen geflogen. In Algerien herrscht ein brutales Militärregime, das kein Interesse an einem demokratischen Frühling in Nordafrika hat. Ebenso wenig die übrigen Despoten.

Es ist kein Zufall, dass zeitgleich mit dem Vorrücken von Gaddafis Truppen auch die belagerte Herrscherfamilie im Golfemirat Bahrain auf Gewalt setzte. Um die seit Wochen anhaltenden Demonstrationen zu beenden, hat Saudi-Arabien 1000 Soldaten ins Nachbarland entsendet.

Gaddafis Mentalität ist die des Stammeskriegers. Er denkt in Kategorien von Rache und Vergeltung. Die Katastrophe in Japan, die Libyen vorübergehend aus den Schlagzeilen verdrängt hat, und die Uneinigkeit der Europäer in der Frage einer Flugverbotszone hat er genutzt.

Und dennoch hat Gaddafi sich verschätzt. Mit einem Angriff der "Koalition der Willigen", um die Zivilbevölkerung vor ihm und seinem Clan zu schützen, hat er vermutlich nicht gerechnet. Die Uno-Resolution, die bewaffnete Aktionen gegen Gaddafis Soldaten und Milizionäre rechtfertigt, war richtig und mutig.

Umso bedauerlicher die Entscheidung der Bundesregierung, sich von dem Einsatz fernzuhalten. Sie will schwimmen, ohne nass zu werden. Begrüßt den Einsatz - aber ohne uns. Selbst Norwegen macht mit - Deutschland wünscht gutes Gelingen, mehr nicht. Das ist beschämend und ein historischer Fehler.

Jenseits von warmen Worten ist der deutschen Bundesregierung bislang nicht viel eingefallen zur arabischen Revolution. Ohne Eingreifen der Alliierten wäre es zu einem Massaker gekommen. Niemand weiß, wie sich die Zukunft Libyens gestaltet, wer künftig dort die Macht übernehmen wird. Aber alles ist besser als Gaddafi, der jenseits von Gewalt zu keiner konstruktiven Politik fähig ist.

Die europäische Außenpolitik erweist sich einmal mehr als Scherbenhaufen. Die Europäer erhalten die Quittung dafür, dass sie viel zu lange der Illusion anhingen, arabische Diktatoren würden Sicherheit und verlässliche Wirtschaftsbeziehungen garantieren. Europa muss umdenken lernen und die Demokratiebewegung aktiv unterstützen - auch mit Waffengewalt gegen die Diktatoren.

Gewiss wird niemand auf die Idee verfallen, in Syrien oder Saudi-Arabien intervenieren zu wollen. Aber wir sollten uns schon mal an den Gedanken gewöhnen, dass es auch unweit der Ölfelder zu Aufständen kommen wird. In Saudi-Arabien gibt es fast täglich Demonstrationen im Osten des Landes, die von Riad aus immer wieder gewaltsam aufgelöst werden.

Ein "Rollback" der Revolution wie jetzt in Libyen und in Bahrain liegt nicht in Europas Interesse. Nur starke Demokratien sind verlässliche Verbündete.

Die arabische Welt steht vor gewaltigen Herausforderungen. Bevölkerungsexplosion, Armut, fehlende Jobs, desolate Bildungssysteme, eine verrottete Infrastruktur. Überlassen wir Verbrechern wie Gaddafi das Feld, müssen wir uns nicht wundern, wenn radikale Islamisten die Unzufriedenheit in der Bevölkerung auf ihre Mühlen lenken. Die Chancen auf einen Neuanfang standen nie so gut wie heute. Wir schaden uns selbst, wenn wir die Region in erster Linie als geostrategische Verfügungsmasse sehen, ohne Rücksicht auf die Menschen.