Qualitätsjournalismus einer eigenen Art hat in Japan geholfen, eine Panik zu verhindern, meint der Experte, der 20 Jahre in dem Land gelebt hat

Das Erdbeben und der Reaktorunfall in Japan haben die deutschen Medien in der letzten Woche beherrscht. Dabei kam es zu einer starken Politisierung dieser Humankatastrophe. Außerdem wurden durch eine stellenweise unsachliche Berichterstattung in Deutschland, 10 000 Kilometer entfernt vom Reaktor Fukushima, eine Angst und Hysterie entfacht, die einen rationalen Umgang mit der Situation sehr erschwerten.

Japanische Medien dagegen berichteten völlig anders. Neben einem Fokus auf die Situation der tatsächlichen Erdbebenopfer wurde über Fukushima und die damit verbundenen Bedrohungen sachlich und emotionsfrei berichtet. Warum? Die einfache Erklärung lautet, dass japanische Medien ein williges Sprachrohr der Regierung sind, die die Gefahr herunterspielen, um eine Panik in der Bevölkerung zu vermeiden. Die Realität ist jedoch komplexer. Einzigartig in der Welt gibt es in Japan ein Presseclub-System, das heißt ein Netz von rund 800 Presseclubs, die einer öffentlichen Institution zugeordnet sind und dort auch angesiedelt sind. Dazu gehören alle Ministerien, aber auch der Sitz des Premierministers und alle Regionalregierungen. Mitglieder in diesen Presseclubs sind traditionell die beiden Nachrichtenagenturen sowie die großen Zeitungen und Fernsehsender, nicht jedoch Zeitschriften, Internetmedien und andere.

Dies bedeutet für die Presseclub-Medien quasi ein Monopol auf den ersten und besten Zugang zu Informationen, die allerdings für alle die gleichen sind.

Im Ergebnis ist dann deren Berichterstattung sehr detail- und faktenorientiert. Aber sie ist auch - abgesehen von Kommentaren - über alle Medien sehr einheitlich und so schon fast langweilig. Umfragen zeigen, dass rund 70 Prozent der Bevölkerung den Berichten des staatlichen Fernsehsenders NHK und denen der großen Zeitungen vertrauen. Der vergleichbare Wert in Europa liegt bei nur 30 bis 40 Prozent. Natürlich gibt es auch in Nippon Sensationsjournalismus und Regenbogenpresse, und zwar in extremer Form. Er findet aber in anderen Medien, vor allem in Wochenzeitschriften, statt, und die Leser wissen dies.

Auch im Fall Fukushima wichen die Presseclub-Medien von ihrer spezifischen Rolle nicht ab. Insbesondere NHK berichtete kontinuierlich von der Entwicklung am Reaktor - und dies weitestgehend basierend auf Informationen vom Betreiber Tepco und der Regierung. Die Medien fragten kritisch nach und deckten auch Fehler auf, wie etwa die Ablehnung der japanischen Regierung von technischer Hilfe der USA für die Reaktorkühlung in den ersten Tagen.

Bemerkenswert ist, dass die besonderen Strukturen der japanischen Medien so halfen, eine Panik zu vermeiden. Selbstverständlich waren es nicht die Medien allein, sondern vor allem die ureigene Disziplin und Haltung der Japaner im Umgang mit Katastrophen.

Aber eins stimmt auch: Die Japaner glaubten ihren Medien mehr als den Berichten aus dem Ausland, die schon Tokio verstrahlt sahen. Die Folgen eines ähnlichen Reaktorunfalls in Deutschland und der möglichen medieninduzierten Panik in dieser Hinsicht mögen wir uns nicht vorstellen.

Was sind aber die Lehren für Deutschland? Eine simple Kopie des Presseclub-Systems aus Japan gehört sicherlich nicht dazu. Die Presse- und Meinungsvielfalt in Deutschland ist ein zu wertvolles Gut, das wir nicht anfassen sollten.

Im Zeitalter von Internet und Onlinemedien scheint es auch hier immer schwieriger, eine korrekte Berichterstattung zu gewährleisten, für die Menschen zu zahlen bereit sind. Doch ist dies wirklich so? Menschen überall haben ein Informationsbedürfnis, immer auch nach Drama und Unterhaltung, aber in erster Linie doch nach Fakten.

Gerade hier liegt aber die Chance für Qualitätsjournalismus. Japan zeigt, dass in den Medien neben Sensationsjournalismus Qualität existieren kann. So gehen dort die Auflagenwerte der Tageszeitungen deutlich langsamer zurück als im Westen. Die größte Tageszeitung, "Yomiuri", kommt allein mit der Morgenausgabe auf eine Auflage von täglich über neun Millionen. Die Zahl beeindruckt. Und mit dem Fokus auf Fakten statt Interpretationen wurde letzte Woche mitgeholfen, eine Panik zu verhindern, die unnötig Leben gekostet hätte.