Angela Merkel hat mit verwirrenden Entscheidungen die politischen Turbulenzen mit verursacht, meint der ehemalige Bundesminister und SPD-Politiker

In den letzten Wochen haben sich Pannen und Peinlichkeiten in Berlin in einer Weise gehäuft, die ich noch nicht erlebt und auch nicht für möglich gehalten habe. Man wird leider feststellen müssen, dass Angela Merkel selbst im Zentrum dieser Turbulenzen steht und sie wesentlich mit verursacht hat.

Da war die Affäre Guttenberg. Als es nichts mehr zu verheimlichen gab, ging die promovierte Kanzlerin die deutsche Akademikerschaft noch drastischer an als ihr Vorgänger Gerhard Schröder, der den wackeren Herrn Kirchhof abschätzig als "den Professor aus Heidelberg" tituliert hatte. Selbst als Guttenberg von der Last der Argumente erdrückt wurde und zurücktrat, hielt sie trotzig am Diktum vom "hervorragenden Minister" fest.

Die Ära Guttenberg wurde dann mit der antiquierten Zeremonie des "Zapfenstreichs" abgeschlossen. An sich ging es ja nur um einen Ministerwechsel. Aber nirgendwo sonst kann der so schön, so ergreifend sein wie im Verteidigungsbereich. Angela Merkel war anwesend, eine Ehre, die sonst wohl keinem Kabinettsmitglied zuteil wird. Entweder hat sie sich nichts dabei gedacht, oder sie wollte trotzig ihre Solidarität mit dem Gestrauchelten bekunden. Beides ist ungut.

Die vielfachen Pannen bei der Einführung des "E 10 Superkraftstoffs" waren da beinahe ein heiteres Zwischenspiel. An sich wäre das ein Anlass gewesen, über die Brüchigkeit gewisser Argumente für den Einsatz "nachwachsender Rohstoffe" nachzudenken. Aber dann hätte die Kanzlerin auf Distanz zu ihrem Minister Röttgen gehen müssen. Das geht schon deshalb nicht, weil der womöglich bald in Nordrhein-Westfalen zum Wahlkampf antreten muss.

Dann ereignete sich der schlimme Unglücksfall in dem japanischen Kraftwerk Fukushima. Nirgendwo sonst scheint er die Menschen außerhalb Japans so sehr zu bewegen wie in Deutschland. In den Medien war flink vom "Super-GAU" die Rede, obwohl die Abkürzung GAU schon für "Größter anzunehmender Unfall" steht, eine Steigerung also kaum möglich ist. Talkshow-Deutschland fiel in eine seiner periodischen Hysterien, aus der es bis heute nicht herausgekommen ist. Es wäre die Aufgabe einer Kanzlerin aufzuklären. Stattdessen wurde die zutiefst widersprüchliche Idee eines "Moratoriums" geboren, mit dem die gerade beschlossene Atompolitik der Regierung auf den Kopf gestellt wurde. Was eigentlich ist neu am Restrisiko der Kernkraft, nachdem bereits wesentlich geringere Ursachen die Katastrophe von Tschernobyl verursacht haben?

Schlimmer noch - das "Moratorium" wurde in die Welt gesetzt, ohne die rechtlichen Konsequenzen ausreichend bedacht zu haben. Als die juristische Fachwelt, vom ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts bis zum Präsidenten des Bundestages, Bedenken äußerte, wurde Angela Merkel mit der Bemerkung zitiert, das seien doch "juristische Spitzfindigkeiten". Nein, Frau Merkel, die sind es nicht! Wir leben immer noch in einem Rechtsstaat!

Schließlich die grausame Causa Gaddafi. Wie hatte sich Herr Westerwelle gespreizt, als Deutschland die Kampfabstimmung um einen Sitz im Weltsicherheitsrat der Uno gewonnen hatte! Da war viel von der Bereitschaft die Rede, "Verantwortung für die Weltgemeinschaft" zu übernehmen. Und jetzt, als ebendieser Sicherheitsrat zum ersten Mal in den letzten Monaten eine wichtige Entscheidung treffen musste, hat die Bundesregierung schlicht den Schwanz eingezogen. Sie hat sich zusammen mit Russland und China, Brasilien und Indien in einer Angelegenheit der Stimme enthalten, die nicht nur von unseren europäischen Partnern und westlichen Verbündeten, sondern sogar von der Arabischen Liga ganz anders beurteilt wird.

Wie denn - wir hätten eine Flugverbotszone immer gefordert? Das ist ebenso dreist wie die Einlassung der Bundeskanzlerin, nach der sie und ihre Regierung in der Atompolitik weiter zu gehen bereit seien als die rot-grüne Koalition. Es ist doch aktenkundig, dass der deutsche Außenminister gegen ebendiese Flugverbotszone mehrfach erhebliche Bedenken geäußert hat!

Wie denn - Deutschland wolle sich nicht in eine kriegerische Auseinandersetzung in Libyen verwickeln lassen? Ja, das fordert die Entschließung des Sicherheitsrates doch überhaupt nicht!

Wie denn - die Entscheidung für eine Luftoperation sei "nicht hundertprozentig durchdacht" (so die Bundeskanzlerin)? Ja, sind denn die anderen Mitglieder des Sicherheitsrates Abenteurer oder Dummköpfe? Nein, in Wirklichkeit wollte man doch wohl nur ein weiteres Debattenfeld vor den Landtagswahlen vermeiden.

Von wem werden wir da eigentlich in Berlin regiert? Was soll ich mit dem Argument anfangen, es gehe schließlich um wichtige Wahlen? Mit Verlaub, wie kann eine Sache politisch richtig sein, die sachlich falsch ist? Eins sollte jeder kluge Politiker gelernt haben: Nicht nur Lügen haben kurze Beine, sondern auch elende Taktiererei.