Während hier vor allem über die Kosten für die Elbphilharmonie gestritten wird, entstehen anderorts viel teurere Ikonen der Architektur.

Mit einem zufriedenen Lächeln lässt sich der große, weißhaarige Mann von den Fotografen hinaus auf den Balkon bitten. Meinhard von Gerkan hat es geschafft. Gerade hat die Stadt nach einem langen Bieterstreit verkündet, dass er und seine Partner und nicht millionenschwere Investoren den Zuschlag für diesen alten Flachdachbau aus den 20er-Jahren erhalten haben. Hier oben auf dem Altonaer Geesthang, einem der begehrtesten Grundstücke Hamburgs, wird die von ihm gegründete Academy of Architectural Culture nun einen festen Platz bekommen. Eine in Deutschland bisher einzigartige Kaderschmiede für die internationale Architektur-Elite von morgen ist sie jetzt schon; ein Schmelztiegel einer Zunft, deren berühmtesten Vertreter längst nicht mehr auf eine Region beschränkt arbeiten, sondern global agieren.

Der Wind von der Elbe zerzaust hier draußen das noch dichte Haar des 76-Jährigen, der nun in die Mikrofone spricht und von der neuen Zukunft des schlichten, aber markanten Gebäudes spricht. Direkt unterhalb der früheren Seefahrtschule breitet sich schon der Hamburger Hafen aus. Nur wenige Hundert Meter weiter östlich glitzert die Fassade der Hamburger Elbphilharmonie über dem Wasser. Neues Wahrzeichen der Stadt soll dieser 500-Millionen-Bau werden, der nun erst wieder ein Jahr später, nämlich 2013, fertig werden soll. "Ein Hybrid", wie von Gerkan über diesen Mix aus altem Ziegelspeicher und dem modernen, an einen Backenzahn erinnernden, 110 Meter hohen Glashut sagt. Der Bau war einmal eine gefeierte Vision, mit der Hamburg in die Topliga der weltweit bewunderten Architekturdestinationen aufsteigen sollte. Immer höhere Baukosten machen ihn bei Kritikern aber auch zum Symbol größenwahnsinniger Steuergeldverschwendung: 323,5 Millionen - so hoch ist der öffentliche Anteil. Über kein anderes Gebäude der Stadt dürfte so viel gestritten werden wie über diesen Glitzerbau. Ob die jungen Architekten aus Europa, USA oder Asien, die demnächst in den Klassenzimmern der Kapitänsschule gemeinsam über architektonische Studien diskutieren werden, ebenso leidenschaftlich über die Sinnhaftigkeit der nahen Elbphilharmonie streiten, ist fraglich.

Die großen Ikonen der Architektur stehen an anderen Orten der Welt. 60, vielleicht 70 meist westliche Büros sind es, die weltweit diese Architektur produzieren. Herzog & de Meuron, die Schweizer, die auch die Elbphilharmonie planen, gehören dazu. Zaha Hadid mit ihren organisch anmutenden Bauten, Daniel Libeskind, der es eher sehr schräg mag, Norman Foster, Meinhard von Gerkan. 1965 gründete er mit Volkwin Marg das Büro gmp, heute mit rund 600 Mitarbeitern das größte in Deutschland. In Berlin plante gmp den neuen Hauptbahnhof. In Vietnam und in China baut das Hamburger Büro Stadien, Opernhäuser und in Lingang New City ganze Städte.

Überall geht es darum, eine architektonische Identität zu schaffen. Bauwerke, die bewundert werden wollen. Ikonen eben. Architektur ist zum Standortfaktor in einem globalen Wettbewerb der Städte um Touristen und Investitionen geworden, heißt es bei der Hamburg Tourismus GmbH. Das Gebäude als Markenzeichen gewissermaßen. Zumindest sind es bestimmte Bauwerke eines Ortes, die die größte Anziehungskraft für Besucher besitzen, sagt auch von Gerkan.

1997 hat das Frank Gehry eindrucksvoll gezeigt. Für das baskische Bilbao entwarf er ein Guggenheim-Museum. Ein futuristischer Bau, losgelöst von allen traditionellen Formensprachen mitten in einer trostlosen Industriestadt und mit direkter Konkurrenz zum nahen, pittoresken Seebad San Sebastián. Mehr als drei Millionen Besucher kamen nach Fertigstellung des Museums jährlich in die spanische Hafenstadt, um diese neue Ikone der Weltarchitektur zu sehen.

Es mag daher eine Art Bilbao-Effekt sein, der überall die Stadtväter zum architektonischen Wettbewerb mit den Stars der Branche anstachelt. Die Hamburger Tourismus-Leute ziehen daher mit Power-Point-Präsentationen durch die Stadt, um Stimmung für die immer teurer werdende Elbphilharmonie zu machen. "Schaut über den Tellerrand, das ist noch nichts zu dem, was weltweit passiert", so in etwa die Botschaft. Nichts, vor allem wenn man Kosten und Dimensionen betrachtet.

Gezeigt werden dann Bilder von Dubai oder Abu Dhabi. Orte, wo vor wenigen Jahrzehnten ein heißer Wind noch vertrocknete Sträucher über einsame Pisten fegte. Heute wird dort mit Ölmilliarden der wohl größte Architekturzoo der Welt geschaffen. Ein Bilbao-Effekt mit zigfachem Nachhall. In 20, vielleicht auch schon 15 Jahren, das wissen auch die Scheichs, ist es vorbei mit dem Ölmärchen. Dann muss das Geld neuen Gigantismus geschaffen haben, damit Touristen und Finanzmagnaten kommen.

65 Milliarden kostet der weltgrößte Freizeitpark Dubailand, der derzeit allerdings unter Finanzierungsschwierigkeiten darbt. The Yas Hotel ist in Abu Dhabi ein 27-Milliarden-Projekt auf einer eigenen Insel, sieben Hotels und eine Konzertarena für 50 000 Menschen wurden dort gebaut. Oder da ist das Dubai Creek, ein kulturelles Zentrum mit Opernhaus, zehn Museen, 14 Theatern.

Alle bisherigen Dimensionen sprengt der Burdsch Chalifa in Dubai, der vor gut einem Jahr fertig gebaut und von dem Architekten Adrian Smith mit einem y-förmigen Grundriss entworfen wurde. Das erste Armani-Hotel residiert dort, Luxuswohnungen bieten Aussichten bis zu 100 Kilometer weit auf den Persischen Golf, mit 828 Metern ist er das bisher höchste Gebäude der Welt. "Gipfel des Größenwahns", schrieb der "Spiegel", als das Projekt 2009 zu stoppen drohte. Wie teuer der Turm schließlich wurde, das bleibt ein Geheimnis der Scheichs, die weiterbauen ließen. Technisch, so heißt es, ist heute machbar, woran früher Statiker noch nicht einmal zu denken wagten. Woanders verabschieden Architekten derzeit mit neuartigen Materialien alle bisherigen Formen, um aufzufallen.

Doch ist das die Architektur mit Nachhaltigkeit, wie von Gerkan sie von den jungen Akademie-Architekten verlangt? Gute Architektur, so lautet sein Credo, ist eine aus dem Dreiklang von Ort, Tradition und Funktion. Willkürliche Effekthascherei lehnt sie ab, reinen Purismus auch. "Architektonischer Jahrmarkt", sagt von Gerkan zu den Dubai-Bauten. "Viel Angeberei und Arroganz" sei dabei. Denn in Wahrheit, so von Gerkan, werden solche Gebäude mit jedem Stockwerk teurer und unwirtschaftlicher. Kein Zufall, dass solche Superlativbauten außerhalb von demokratischen Staaten entstehen. Dort, wo sie sich nicht gegen Kritiker, Bürgerbegehren oder Nachbarschaftsanwälte durchsetzen müssen. Demokratische Architektur mag mancher als mittelmäßig empfinden.

Doch architektonische Identität - das lässt sich eben nicht mal eben diktatorisch mit viel Geld bestimmen. Das meint jedenfalls der renommierte Hamburger Architekturhistoriker Gert Kähler. Ikonen-Architektur - oder auch Event-Architektur, wie er es nennt - müsse einen Widerhall in der Gesellschaft finden, von ihr auch identitätsstiftend als Ikonen aufgenommen werden. Als Teil einer Kultur, die schon immer solche bis heute bewunderten Bauten geschaffen hat. Die Pyramiden, die Angkor-Ruinen im Dschungel von Kambodscha oder die großen mittelalterlichen Kathedralen Europas - das waren die Ikonen-Bauwerke früherer Zeiten. "Bürohäuser können das nicht ersetzen und zu viel Spektakel an einem Ort auch nicht", glaubt Kähler. Schon eher die modernen Kathedralen wie Stadien oder Konzerthäuser. Der religiöse Bau als mächtiger Architektur-Stempel einer Geisteshaltung hält sich indes nur in der islamischen Welt: Das 76 Stockwerke hohe Luxushotel Abraj Al Bait Towers in Mekka ist so ein Ausdruck, noch mehr aber die geplante Erweiterung der Al-Haram-Moschee für bald drei Millionen Pilger. Und auch hier ist es der Architektur-Jetset, der die Entwürfe dazu liefert. Norman Foster und Zaha Hadid planen das Projekt.

Doch die großen Namen allein reichen nicht, um echte Ikonen zu bekommen. Längst baut Libeskind auch in Lüneburg, Herford leistet sich eine Foster-Planung. "Davon bemerkt die Welt aber nichts", sagt Kähler. Und auch das Guggenheim-Museum in Bilbao ist nicht mehr der Magnet, so wie sich die Hamburger Tourismus-Leute es sich von der Elbphilharmonie erhoffen. Zwar kamen dort tatsächlich drei Millionen Besucher. "Doch das war nur in der ersten Jahren", sagt Architekturkritiker Kähler. Inzwischen sind die Bilbao-Jünger auf eine überschaubare Anzahl von jährlich vielleicht 500 000 Besucher zusammengeschrumpft. Wer das Silberteil einmal gesehen hat, braucht nicht wiederzukommen. Spektakel allein ist eben nicht, was dauerhafte Bewunderung schafft.

Möglich ist daher, dass jenseits von Religionsbauten und den Hedonisten-Tempeln des Westens neue Ikonen der Weltarchitektur kommen. Konstruktionen, die wirklich Antworten geben können auf Fragen, die heute gestellt werden. Auf globale Bedrohungen wie Klimawandel oder Atomkatastrophen wie gerade in Japan. Und wieder ist es der Nahe Osten, der mit viel Geld einen Weg dorthin vorangehen will. Masdar City in Abu Dhabi soll eine Ökopolis für 50 000 Einwohner werden, eine Stadt, die ausschließlich mit erneuerbaren Energien lebt. Die Sonne wird dort das Öl ablösen, von dem das Emirat heute noch jeden Tag 2,8 Millionen Fässer verkauft. Geplant wird die Stadt, die derzeit aber unter der Finanzkrise leidet, von Norman Foster.

Noch weiter gehen andere Architektur-Visionen: Dragonfly ist ein Projekt der französischen Büros Vincent Callebaut für New York. Es nimmt die Idee des "Urban farming" auf. Obst, Gemüse, ja selbst Fleisch werden in die großen und wachsenden Weltmetropolen nicht mehr von weit her herangebracht, sondern in der Stadt selbst produziert. Dragonfly ist dabei eine vertikale Farm, ein Gebäude mit 600 Metern Höhe, wo in etlichen Etagen Landwirtschaft betrieben wird. Das russische Büro Remistudio versucht mit einem kugelrunden, gigantischen Hausboot eine Antwort, 40 bis 50 Familien könnten darin leben, völlig unabhängig mit autarker Energieversorgung. Projektname ist Arche.

Möglicherweise gibt es bald mit solchen realisierten Ideen eine vollkommen neue Globalarchitektur, die mehr noch als die Vergnügungsarchitektur in Dubai bewunderte Ikonen hervorbringen kann. Die jungen Architekten der Gerkan-Akademie sind jedenfalls längst schon auf diesen Weg. Für das Gelände des Berliner Flughafens Tegel entwarf kürzlich eine Gruppe von 20 Kursteilnehmern die Vision einer Energie-Plus-Stadt.

Gut möglich, dass aus dem Flachbau der alten Seefahrtschule an der Elbe daher mehr Impulse für eine neue Architektur ausgehen werden, als es die benachbarte Elbphilharmonie je vermag. Auch wenn das umstrittene Bauwerk etwas mit dem höchsten Gebäude der Welt in Dubai gemeinsam hat. Die einzigartigen Glasfassaden stammen von demselben Hersteller in Sachsen-Anhalt.

Und das ist doch schon was.