Statt Fehler und Irrtümer einzugestehen, retten sich unsere Volksvertreter lieber in rhetorische Volten und stellen die Rolle rückwärts als Vorwärtsbewegung dar

Wie erklärt ein Politiker einen abrupten Meinungswechsel, eine Kehrtwende um 180 Grad? Er sagt nicht etwa: Ich habe mich geirrt, jetzt bin ich schlauer. Sondern er versucht, die Rolle rückwärts als Vorwärtsbewegung darzustellen. So, als sei sie die logische Fortentwicklung seiner Politik bzw. der Politik seiner Partei oder der Regierung. Dazu gibt es die Floskel: "Wir haben immer gesagt ..."

Als die schwarz-gelbe Koalition wegen der Katastrophe von Fukushima ihre bisherige Atompolitik von einem Tag auf den anderen über den Haufen warf, wurde daraus ein wahres "Immer gesagt"-Festival. "Wir haben immer gesagt, dass die Sicherheit absoluten Vorrang hat", verkündete Unionsfraktionschef Volker Kauder. Dass seine Koalition diese Sicherheit bisher als garantiert angesehen hatte, nun aber plötzlich für fraglich hält, erläuterte Kauder nicht weiter. "Wir haben immer gesagt: Laufzeitverlängerung ja - aber nicht unendlich." So versuchte der bayerische Umweltminister Markus Söder es als konsequente Politik zu verkaufen, dass er bis Fukushima die deutschen Atomkraftwerke so lange wie möglich am Netz halten wollte, sie nun aber so schnell wie möglich abschalten möchte.

Es gab kaum einen Bundes- und Landespolitiker von Union und FDP, der plötzlich nicht "schon immer gesagt" hatte, dass Deutschland möglichst bald rausmuss aus der Kernenergie. Da durfte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der spontanen Abschaltung der sieben ältesten Atommeiler nicht fehlen, schließlich ist sie eine bewährte "Immer gesagt"-Großmeisterin: "Wir haben immer gesagt, Kernenergie ist Brückentechnologie, das heißt, wir steigen aus, wenn wir auch wirklich umsteigen können."

Deutschland hat in den vergangenen Monaten heftige Diskussionen über die Entfremdung zwischen Politikern und Bürgern geführt. Anlässe dafür waren die Rücktritte von Köhler und Guttenberg, die Stuttgart-21-Demonstrationen, das Sarrazin-Buch. Alle waren sich einig: Ein wichtiger Grund für diese Entfremdung ist die leblose Sprache der Politiker mit ihren standardisierten Versatzstücken. Eine Sprache, die mehr täuscht und verschleiert, als sie erklärt und Verständnis erzeugt.

Eine der unehrlichsten Floskeln dieser Sprache ist der "Immer-gesagt"-Satz. Auch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) beherrscht ihn noch. Der Mann, der die Sozialeinschnitte der "Agenda 2010" unbeirrt und "basta"-artig durchsetzte, verkündete soeben im Landtagswahlkampf von Baden-Württemberg treuherzig: "Ich habe immer gesagt, dass die Agenda nicht die Zehn Gebote sind und ich nicht Moses bin." Als die Grünen bei der Hamburg-Wahl Ende Februar nur geringe Zugewinne erzielten und nicht mehr in den Senat kamen, wurde Volker Beck, der parlamentarische Geschäftsführer ihrer Bundestagsfraktion, im Deutschlandradio gefragt: "Hat sich Ihre Partei gleich zweimal verzockt?" Beck sagte aber nicht Ja, sondern gab eine gewundene Antwort mit dem Kernsatz: "Wir haben immer gesagt, wir bleiben auf dem Teppich, notfalls nageln wir ihn auch an, wenn er fortfliegen will."

Bei der Gelegenheit reihte sich auch Wahlsieger Olaf Scholz (SPD) unter die "Immer-gesagt"-Politiker ein. Angesprochen auf seine Karrierechancen und -pläne sagte Scholz: "Ich habe immer gesagt, dass ich meine Arbeit so gut machen will, dass ich wiedergewählt werde." Warum sagte er nicht: Ich habe mich auf Hamburg eingestellt, aber wenn ich zum Beispiel SPD-Kanzlerkandidat werden kann, sieht die Welt anders aus? Das würde ihm doch niemand übel nehmen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) versucht zurzeit, sich aus einem Versprechen herauszulavieren, das er vor seiner Wahl zum NRW-Landesvorsitzenden gegeben hatte: im Fall einer Niederlage bei Neuwahlen als Oppositionsführer nach Düsseldorf zu wechseln. "NRW-CDU legt sich nicht auf Röttgens Wechsel ins Land fest", berichtete dazu die Nachrichtenagentur Reuters. Und was sagt Röttgen in dem Bericht selbst dazu? Richtig geraten: "Ich habe immer gesagt, ich bin umfassend zur landespolitischen Verantwortung bereit."

Im vergangenen Jahr grassierte das Wort "alternativlos", wenn Entscheidungen gegen das Unverständnis der Bürger durchgesetzt werden sollten. Man hat davon nichts mehr gehört, seit "alternativlos" zum Unwort des Jahres 2010 gekürt wurde. Als Nachfolge-Kandidat für 2011 böte sich "Immer gesagt" an. Wir Wähler sollten aber nicht auf die Hilfe einer Jury setzen. Wir glauben einfach keinem Politiker mehr, der diese Floskel benutzt. Ab sofort. Das haben wir immer gesagt.