Ein Kommentar von Sven Stillich

Vor geraumer Zeit war das Wort Super-GAU seiner eigentlichen Bedeutung noch enthoben - es war zu einem Bild geworden. "Das war nun aber echt der Super-GAU für den HSV", konnte man sagen und damit meinen, dass ein wichtiges Spiel für den Hamburger Sportverein nicht gut gelaufen war. Der GAU, der "größte anzunehmende Unfall" konnte damals noch bedeuten: zu Hause gegen den FC St. Pauli verloren zu haben.

Mit der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima ist der Super-GAU dem Metaphorischen wieder entrissen worden. Fast genau 25 Jahre nach dem größten anzunehmenden Unfall in Tschernobyl hat die Wirklichkeit so druckvoll den Staub von dem Begriff geblasen, als hätte sie alle Kerzen auf dem Jahrestagskuchen löschen wollen.

Wie schnell es gehen kann, dass Wörter uneigentlich werden, zeigt die Geschichte des Wortes Tsunami. Es hat nicht lange gedauert, bis der Tsunami im Indischen Ozean, bei dem vor rund sechs Jahren mehr als 200 000 Menschen starben, hinter dem Bild der "großen Welle" verschwunden war. Noch im Februar warnte eine medizinische Studie davor, auf die Menschheit rolle ein "Tsunami der Fettsucht" zu. Solche Formulierungen wird es nun nicht mehr geben - aber nur so lange, bis der Schrecken verblasst ist. Sprache funktioniert so. Unfassbares wird mit Unfassbarem beschrieben. In diesem Sinne: Das nächste "Erdbeben an der Börse" kommt bestimmt.