Für die einen war es schlicht ihr Job. Und nicht zuletzt ein Akt der Hilfeleistung, ein Dienst am Bürger, ganz im Sinne des Mottos: die Polizei, dein Freund und Helfer. Doch dem Mann, um den sich die Beamten kümmern wollten, stieß ihr Handeln extrem übel auf. Eine Schikane witterte er, ein völlig überflüssiges Eindringen in seine ganz privaten Angelegenheiten, ein Akt, der ihn gehörig auf Zinne brachte.

"Mein Abend ist versaut worden", bilanziert Stephan E. jetzt seine Sicht über das Zusammentreffen mit den Ordnungshütern. Seinerzeit war der 49-Jährige offenbar mit seinen Unmutsäußerungen noch sehr viel deutlicher. Zu deutlich. Es hat ihm eine Anzeige wegen Beleidigung und Bedrohung eingehandelt und damit einen Prozess vor dem Amtsgericht.

Es kommt nicht oft vor, dass Angeklagte einen so entspannten Eindruck machen wie dieser seit vielen Jahren arbeitslose Mann, der munteren Schrittes und mit selbstbewusster Miene den Verhandlungssaal betritt und ohne Zögern die Vorwürfe einräumt. Ja, gesteht der bärtige, kräftig gebaute Mann, er habe einen der Beamten als "kleiner Penner" und "Arschloch" bezeichnet. Und auch, dass er dem Mann gedroht haben soll, er "bringe ihn um", bestreitet der Hamburger nicht. "Da stehe ich auch zu, da haben die selber Schuld", stellt er selbstgerecht fest. Denn was die Polizisten an jenem Tag, drei Tage nach Heiligabend des vergangenen Jahres, mit ihm angestellt hätten, mäkelt er, sei "einfach eine Riesenschweinerei".

Nach den eher schlichten Kriterien des Ein-Euro-Jobbers war es bis dahin ein guter Tag gewesen. Sein Alkoholpegel war hoch, die Stimmung prächtig. "Ich kam gut gelaunt aus der Innenstadt, war der einzige Passant weit und breit. Und die hatten nichts Besseres zu tun, als mich aufzugabeln, 300 Meter von zu Hause entfernt", empört der Mann sich. "Die sollten mich lieber in Ruhe und meinen Rausch ausschlafen lassen!"

Die äußeren Umstände zeichnen indes ein ganz anderes, deutlich weniger harmloses Bild. Denn laut Akte hatten besorgte Anwohner am Stadtrand die Beamten alarmiert und von einer Gefährdung des torkelnden Mannes gesprochen. Schließlich seien in der Nähe des Ortes, an dem Stephan E. aufgefunden wurde, Bahngleise. Und nicht zuletzt war es in jener Nacht sehr kalt. "Wenn Sie vielleicht in eine Hecke gefallen und nicht mehr hochgekommen wären", gibt der Amtsrichter dem Angeklagten zu bedenken, "dann hätte man Sie unter Umständen erst am nächsten Morgen gefunden. Und dann leider tot."

Doch auch diese Argumentation dringt nicht wirklich zu Stephan E. durch, er sieht sich lieber in der Rolle des Unschuldslamms. Er habe sich korrekt verhalten, sei nur einem Auto, das auf dem Fußweg geparkt war, ausgewichen und deshalb für einen kurzen Moment auf die Fahrbahn geraten: "Und plötzlich hatte ich die Kollegen im Nacken, die forderten, dass ich mitkommen soll", schimpft der 49-Jährige. "Die wollten mich mitnehmen, zur Wache, auf die Holzbank!"

Doch nach Aussage des betroffenen Polizisten hat sich der Angeklagte das selber zuzuschreiben. "Mensch in Gefahr" habe damals ihr Einsatz gelautet, berichtet er, und als sie zum genannten Ort kamen, habe Stephan E. im Schnee gelegen. "Wir haben ihm aufgeholfen und ihn in einen sicheren Bereich geschafft." Es habe in jener Nacht frisch geschneit und sei sehr glatt gewesen, ergänzt der Beamte.

Doch der Angeklagte winkt missmutig ab. "Ich hätte es noch nach Hause geschafft", versichert er und argumentiert in seiner ganz eigenen Logik: "Ich bin in dem Winter nüchtern öfter ausgerutscht und hingefallen, als wenn ich etwas getrunken hatte."

Zumindest einige seiner Aktionen waren offenbar alles andere als koordiniert. Als die Polizisten seine Papiere sehen wollten, "kamen bloß einige Schnapsfläschchen zum Vorschein", erzählt der Zeuge. Und der Mann habe gedroht, ihn umzubringen, wenn er angefasst werde. Weil Stephan E. zudem mehrere Beleidigungen ausgesprochen und Tritte angedroht habe, hätten sie ihn schließlich in Gewahrsam genommen und zur Wache transportiert. Eine andere Beamtin relativiert die Bedrohung des 49-Jährigen, er werde die Polizisten umbringen. Dies sei nach ihrem Eindruck "nur so dahingesagt gewesen. Er war zwar ziemlich stinkstiefelhaft, aber nicht wirklich aggressiv", meint sie. "Es war eben ein Betrunkener, da darf man nicht alles so auf die Goldwaage legen."

Ganz in diesem Sinne regt der Amtsrichter an, das Verfahren gegen eine Geldbuße einzustellen, und auch die Staatsanwaltschaft mag sich dem nicht verschließen. 100 Euro muss Stephan E. bezahlen, dann ist das Verfahren aus der Welt. Der Angeklagte ist sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis. "Nichts für ungut", meint er, jetzt wieder entspannt und bester Stimmung. Er habe ja wirklich "großen Respekt für die Arbeit der Polizei". Nur leider eine sehr unorthodoxe Art, dies zu zeigen.