In deutschen Haushalten ist dekorative Wandgestaltung wieder gefragt. Philip Gaedke aus Hamburg fertigt die Motive nach Maß.

Hamburg. Weiß und glatt geputzt. Dieser Purismus beherrschte lange Zeit die Wände deutscher Wohnungen. Extreme Farben und Fotomotive rangierten weit unten in der Beliebtheitsskala, galten als kitschig. Doch die Zeit der vornehmen Zurückhaltung ist vorbei.

Nach Hotels und Coffee-Shops sind es nun Privatleute, die ihren Wänden ein bunteres Design verpassen wollen. Laut des Deutschen Tapeteninstituts (DTI) wurden 2009 rund 40 Millionen Tapetenrollen verkauft, seit drei Jahren wächst der Markt jährlich um rund fünf Prozent - und es gibt längst mehr als Raufaser. "Die Nachfrage nach Design- und Fototapeten ist definitiv gestiegen, wobei sie mit einem Anteil von fünf Prozent am Gesamtmarkt eher eine Nische bedient", sagt Karsten Brandt, Geschäftsführer des DTI. Die Lust am dekorativen Wandschmuck erlebe dennoch eine Renaissance.

Eine, von der Philip Gaedke zu profitieren hofft. Der 38-Jährige entwirft in Hamburg Tapeten. Täuschend echte Hafenszenarien und überdimensionale Kirschblüten verzieren die Fassaden von Schulgebäuden, Büros oder Toiletten. Die Wände des asiatischen Restaurants Bok im Schanzenviertel hat der Produktdesigner neu gestaltet. In den Fluren der Firma Bigpoint, bekannt für Computerspiele, hängen Tapetenpaneele in Anmutung eines animierten Bildschirmschoners. "Eine Tapete ist mehr als eine Form der Raumgestaltung", sagt er. "Sie erzeugt beim Betrachter eine Stimmung." Die Leidenschaft für Tapeten ist bei Philip Gaedke erst im Laufe des Studiums entstanden. Er hatte sich auf die Programmierung von Computerspielen spezialisiert, bemerkte dort, mit welch simplen visuellen Mitteln es gelingen kann, den Spieler vor dem PC in die virtuelle Welt zu entführen. Diese Technik übertrug er auf Tapeten, begann Motive zu entwickeln, die er von einem Tapetenfabrikanten extern bedrucken ließ.

Kamen die Anfragen zunächst nur aus dem Bekanntenkreis, wurden zunehmend auch Architekten und Inneneinrichter auf ihn aufmerksam. Profitabel, sagt er, sei sein Geschäft lange Zeit nicht gewesen. Die Kontinuität fehlte, zumal individuell gefertigte Tapeten durchaus ihren Preis haben - ab 40 Euro pro Quadratmeter aufwärts. "Für den Privathaushalt sind sie meist zu teuer. Die Kundschaft beschränkt sich eher auf Betriebe und Gastronomie", sagt er. Wenngleich, aufgrund der Nachfrage, vermehrt günstigere Tapeten im Handel erhältlich sind. Die größten Hersteller haben bis zu 4000 Muster zur Auswahl. Drei Viertel des Angebots stellen Vliestapeten aus Zellstoff und Papier.

Von den handelsüblichen Wandkleidern möchte sich Philip Gaedke klar absetzen. Mit maßgeschneiderten Designs, die der Kunde mitbestimmt. Und der Wunsch nach Einzigartigkeit kann zum profitablen Geschäft für die verschiedensten Wirtschaftszweige werden. Dies beweist beispielsweise die kleine, doch umsatzstarke Branche der "Mass Customization"-Produkte. Dabei stellt sich der Verbraucher Lebensmittel wie Tee oder Müsli selbst zusammen - und kann sich so vom Standard aus dem Supermarkt abheben. Der Trend zur Individualisierung, bestätigt Karsten Brandt, hätte mittlerweile die Tapetenindustrie erreicht.

Der richtige Zeitpunkt also, um den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Philip Gaedke ging ihn im Herbst vergangenen Jahres. Motivation gab ihm die Auszeichnung als "Kreativpilot", die von der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung vergeben wurde. In regelmäßigen Workshops lernte Gaedke Kreative aus anderen Sparten kennen, konnte so ein Netzwerk aufbauen - was ihm wiederum neue Aufträge einbrachte. Allerdings: Nur mit Tapeten will er seine Zukunft nicht gestalten. "Ich habe Lust, mit Materialien zu experimentieren." Damit ist er offenbar nicht allein.