Eltern und Lehrkräfte wollen Verlässlichkeit und Konstanz in Schulstrukturen und Schulinhalten über Wahldaten und Grenzen von Bundesländern hinweg

Bei der Beurteilung der deutschen Schullandschaft sind die Haltung und die Wünsche in der Bevölkerung eindeutig: 16 Schulsysteme und fast 100 Schularten sind den Menschen zu viel. Jedes Jahr wechseln rund 120 000 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 20 Jahren umzugsbedingt in das Bildungssystem eines anderen Bundeslandes. Stress in den Familien und Bildungszeitverluste für die Kinder und Jugendlichen sind dabei programmiert. Die föderative Struktur im Schulwesen wird keinesfalls als Bereicherung durch Vielfalt, sondern vornehmlich als Behinderung durch Chaos erlebt. Wahnsinn mit Methode lautet die Kritik.

Der Ruf nach einem bundeseinheitlichen Schulsystem und nach einer gesetzlichen Bundeszuständigkeit findet deshalb regelmäßig eine sehr hohe Resonanz. Verfassungsändernde Mehrheiten sind hier von den großen Volksparteien bei ihrer Verankerung in den Ländern nicht zu erwarten. Den offensichtlichen Problemen muss vielmehr auf anderem Wege eine politische Antwort gegeben werden: Ohne Grundgesetzänderung, aber mit der Bereitschaft zu Konsens und Kooperation bei den "Bildungsfürsten" in der Kultusministerkonferenz. Die Zeit ist reif dafür.

Mit einem solchen nationalen Schulkonsens würde auch dem dringenden Wunsch der meisten Eltern und Lehrkräfte nach Verlässlichkeit und Konstanz in Schulstrukturen und Schulinhalten über Wahldaten hinweg entsprochen werden. Dazu dürfen die Parteien nicht mehr länger nur den eigenen schulpolitischen Kleingarten in ihren Ländern pflegen wollen. Sie müssen vielmehr endlich grundlegende politische Realitäten anerkennen. Und danach stehen beide großen Volksparteien CDU/CSU und SPD und ihre Partner in 16 Landesregierungen erfahrungsgemäß parallel in der Verantwortung. CDU/CSU und SPD müssen deshalb über die eigenen Parteischatten springen und zum Perspektivwechsel bereit sein. Nur so kann der "historische Kompromiss" zur Schulpolitik in Deutschland gelingen: In den Parteien und zwischen den Parteien, in den Ländern und zwischen den Ländern. Das Bundesland Hamburg gibt hierfür mit seinem Versprechen für zehn Jahre Schulfrieden ein gutes Vorbild ab. Hamburg vorn - das ist ein neues Zeichen in der Bildungspolitik. Was können die Eckpunkte für einen solchen nationalen Schulfrieden sein?

1. Das Fundament des Schulsystems bleibt nach der Kindertagesstätte als frühkindliche Bildungseinrichtung die gemeinsame Grundschule für die Altersstufe der Sechs- bis Zehnjährigen.

2. Wie der Übergang in die Schulen der Sekundarstufe I in den Klassenstufen 5 und 6 organisiert wird, wird nach einer gemeinsam vereinbarten qualitativen Evaluation der verschiedenen Modelle in Deutschland in einem nächsten Konsensschritt geklärt.

3. Auf die Grundschule setzt ein Zwei-Wege-Modell von Gymnasium einerseits und Gemeinschafts- alias Gesamt- oder Stadtteilschule andererseits auf, das in allen Bundesländern spätestens ab Klasse 7 parallel angeboten wird. Auf beiden Schulformen sind jeweils prinzipiell alle weiterführenden Schulabschlüsse zu erreichen. Während das Gymnasium hierbei das Abitur als G 8 anbietet, gibt es bei der zweiten Schulform dort, wo eine gymnasiale Oberstufe eingerichtet wird, das Abitur als G 9.

4. Die Länder vereinbaren parallel zu diesem Umsetzungsprozess eine gemeinsame Reform der Lehrerausbildung, die sich an dieser schulischen Grundstruktur orientiert. Das Hamburger Vorbild einer verpflichtenden Lehrerweiterbildung wird in den Konsens aufgenommen.

5. Die Länder treffen eine gemeinsame Zielvereinbarung, in einem Masterplan "Ganztagsschule 2020" das deutsche Schulwesen schrittweise zu einem Ganztagsschulwesen mit offenen und gebundenen Ganztagsschulen umzugestalten.

6. Auf die Einhaltung dieses Konsenses verpflichten sich die Länder unabhängig von möglichen wechselnden Regierungsmehrheiten für einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren nach dem Muster des Hamburger und auch des Bremer "Schulfriedens".

7. Die Umsetzung wird im Rahmen des nationalen Bildungsberichts von den Ländern und dem Bund dokumentiert und vom Bund in der Bildungsforschung, dem Ausbau der Hochschulen und der gemeinsamen Finanzierung des Ganztagsschulausbaus unterstützt.

Ernst Dieter Rossmann, 60, ist Sprecher der AG Bildung und Forschung der SPD-Bundestagsfraktion