Die Hamburger Vogeluhr verrät, zu welcher Zeit die Tiere im Frühling aufstehen

Mit zunehmender Dauer des Winters geriet das morgendliche Aufstehen ja immer mehr zum Ärgernis. Der Wecker klingelte gefühlt zu laut oder zu früh. Und war das Ding dann endlich mal still, hatte man sich mühselig aus dem Bett geschält, tappte man durch visuelle und akustische Eintönigkeit. Draußen wartete nur dunkle, kalte, stille Großstadt. Spaß am Aufwachen hatte eigentlich nur, wer in der Lage war, sich den reizarmen Morgen schönzuflöten.

Diesen Job übernehmen jetzt glücklicherweise wieder andere, sofern man nicht an einer permanent dröhnenden Einfallstraße wohnt. Denn das grünende Frühjahr verspricht nicht nur ein Kontrastprogramm für verquollene Augen, auch die schläfrigen Ohren bekommen neues morgendliches Futter: die tirilierende Vogelwelt. Der natürliche Weckdienst hält Einzug, und er flötet so verlässlich, dass sich die Uhr danach stellen lässt. Vorausgesetzt, man erkennt das Zwitschern und Krakeelen vor dem Fenster und kann die Tiere auseinanderhalten.

Weil sich die Vögel jetzt in Stimmung, genauer: in Paarungsstimmung singen, ist ihr Ruf eine relativ exakte Orientierungshilfe für Frühaufsteher. Jeder Vogel stimmt sein Lied zu einer anderen Zeit an, beeinflusst von der aufgehenden Sonne. "Und obwohl es draußen noch kalt ist, haben viele Arten schon jetzt Frühlingsgefühle", sagt Eva Goris von der Deutschen Wildtier-Stiftung in Hamburg.

Demnach könne die Vogeluhr nicht nur auf dem Land ein gängiges Mittel sein, rechtzeitig zur Arbeit zu kommen. Auch in der Stadt pfeifen beispielsweise die Spatzen von den Dächern, wann die nächste Bahn geht. "Dabei ist das Liebesgeflüster der Vögel weniger von der Temperatur abhängig", sagt Goris. Vielmehr bestimmen äußere Reize wie Geräuschkulisse oder Helligkeit den Singsang der Vogelwelt. So sei beobachtet worden, dass ein bedeckter Himmel auch das Vogelkonzert nach hinten verschiebt. "Aber die Morgendämmerung setzt nun von Tag zu Tag eher ein, deshalb singen auch die Vögel früher."

Zu den absoluten Frühaufstehern gehört in dieser Hinsicht der Gartenschwanz. Er erahnt den Sonnenaufgang. Bereits um 4 Uhr früh, eineinhalb Stunden vor Lichtwerdung, beginnt sein Lockruf. Schon zehn Minuten später erwacht das Rotkehlchen, danach stimmt für gewöhnlich die Amsel ihr Lied an - und so weiter. In einer vogelreichen Nachbarschaft - zum Beispiel am Volkspark, am Ohlsdorfer Friedhof, am Stadtpark, in Schrebergärten, bei Planten un Blomen oder auch am Duvenstedter Brook - wird der tierische Choral bis 5.40 Uhr komplettiert. Als Letzter betritt um diese Zeit der Star die Bühne. Wortspielkassenpflichtige Starallüren sind aber reine Unterstellung.

Ornithologen sind sich indes noch uneins, ob Vögel aus Lust an der zeitlichen Präzision singen. Gesichert scheint aber, dass sie das damit verbundene Risiko, von Feinden entdeckt zu werden, eingehen, um ihre Art zu erhalten. Denn in erster Linie wollen die Tiere ihre Gattung beeindrucken. "Männchen wollen Weibchen anlocken und ihr Revier gegenüber Rivalen abgrenzen", sagt Eva Goris. Deshalb klängen die Rufe eines einzigen Vogels zum Teil höchst unterschiedlich - mal mit lieblichem Timbre, dann wieder mit drohendem Unterton. Gemein ist den Rufen nur eines: Gerade in der Morgendämmerung herrscht akustische Rushhour: "Dann singen mehr Vögel als zu irgendeiner anderen Zeit am Tag", sagt Goris. Zwar würden Mönchsgrasmücken auch am Mittag ein Lied anstimmen, Spatzen eigentlich den ganzen Tag tschilpen und der Gartenrotschwanz sogar nachts des Singens nicht müde werden. Bevorzugt werde aber der Morgen.

Dabei beginnen Vögel in Hamburg 13 Minuten später zu singen als im geografisch begünstigt gelegenen München, und sie schwatzen intensiver als beispielsweise in der sachsen-anhaltischen Provinz. "Forscher haben herausgefunden, dass es nicht nur Vogeldialekte gibt. Sondern dass Tiere, die in einer Großstadt heimisch sind, auch lauter singen. Vermutlich, um gegen den Lärm des urbanen Lebens anzukommen", sagt die Expertin von der Deutschen Wildtier-Stiftung. Seltsame Eigenheiten eingeschlossen: So imitieren Stadtvögel gern Handy-Klingeltöne.

Wie nachhaltig das Geflöte ist, hänge von der jeweiligen Art ab. Die Botschaft müsse durchdringen, und weil der Zaunkönig ein ziemlich großes Revier besitze, lege er sich bei der Lautstärke besonders ins Zeug. Die Mistdrossel dagegen fliege lieber gleich auf einen möglichst hoch gelegenen Singplatz, während Lerchen ihre umgarnenden Gesänge direkt aus dem Flug in die Welt posaunen würden. Das verspricht Reichweite. Für kurze Zeit.

"Denn schon im Sommer sind viel weniger Vögel zu hören, weil sie zu beschäftigt sind", sagt Eva Goris. All das Eierlegen, Brüten und Aufziehen der Jungen brauche Kraft, zudem sind die Reviere verteilt. Wer den Tieren schon im Frühjahr helfen möchte, sollte laut Deutscher Wildtier-Stiftung Meisen oder Spatzen mit Nisthilfen versorgen. "Denn in der Stadt, wo es fast nur Beton- oder Glasfassaden gibt, sind Plätze zum Nestbau rar", sagt Eva Goris.