Nun singen und schunkeln sie wieder, schneiden Schlipse ab und werfen pfundweise "Kamelle". Wenn der Karneval dem Ende zugeht, singen sie in einer Mischung aus Wehmut und Einsicht: "Am Aschermittwoch ist alles vorbei!" Als Student in Münster hatte ich mit einer gewissen Faszination etwas von dieser Karnevalsstimmung miterlebt, obwohl diese Tradition uns Norddeutschen weniger liegt. Aber dass die feuchtfröhliche fünfte Jahreszeit am kommenden Mittwoch vorbei ist und dann eine andere Zeit beginnt, wissen auch wir im Norden.

1983 beschlossen wir mit einigen Hamburger Theologen und Journalisten, in den sieben Wochen bis Ostern auf Alkohol oder Süßigkeiten, auf zu viel Fernsehen oder Autofahren zu verzichten. Inzwischen testen Tausende Hanseaten ab Aschermittwoch ihren Standort zwischen Freiheit und Abhängigkeit und fassen Vorsätze für ein verändertes Leben. Bei alledem geht es nicht nur um eine Frühlingsdiät, sondern auch um die Einübung von Freiheit und um ein spirituelles Abenteuer. Fastende begeben sich auf einen Pilgerweg durch die Passionszeit und stellen manche Fragen an ihr Leben nüchterner und neu: Was zeigt mir mein Blick in den Spiegel? Bin ich der, der ich sein sollte? Steht etwas zwischen Gott und mir? Wird es mir gelingen, einige schädliche Gewohnheiten meines Lebens zu lassen und neue Wege einzuüben?

Sechseinhalb Wochen Verzicht sind kein Spaziergang und können Verzichtende ziemlich einsam machen. Darum besteht das Angebot der beiden in Hamburg entstandenen Fastenaktionen "7 Wochen ohne" und "7 Wochen anders leben" in einer medialen und seelsorgerlichen Begleitung durch Kalender oder Briefe und dem Austausch mit anderen Fastenden. Die Lyrikerin Rose Ausländer schreibt: "Vergesst nicht, Freunde, wir reisen gemeinsam". Auch Fastende fühlen sich bestärkt, wenn sie sich gegenseitig vergewissern können, nicht allein zu sein.

Das Santiago de Compostela ihres Pilgerweges, der Sehnsuchtsort, an dem sie sich glücklich in den Armen liegen und feiern können, ist das Osterfest. Die Luft riecht nach Verheißungen, gehen wir voller Hoffnung und Tatendrang darauf zu.

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