Der bald 100 Jahre Alte Elbtunnel wird in die Reihe der wichtigsten technischen Bauwerke Deutschlands aufgenommen

St. Pauli. Es war am 24. Juni 1909 um kurz nach 10 Uhr, als das Projekt vor seinem Ende stand. Tief unter der Sohle der Elbe gruben sich Arbeiter in der engen Tunnelbaustelle durch den weichen Boden. Druckluft sollte verhindern, dass Wasser eindringt. Doch plötzlich entwich die Luft schlagartig. An einer Stelle mit nur geringer Bodenabdeckung hatte sie sich ihren Weg bahnen können bis ins Wasser, wo sie brodelnd als 2,5 Meter hohe Fontäne an die Oberfläche schoss. Mit gewaltiger Kraft erfasste der Sog die Arbeiter, die sich verzweifelt an Balken festkrallten. Stützen knickten polternd ein, Wasser schwoll herein. Hastig flüchteten die Arbeiter zum Ausgang. "Die hatten enorm viel Glück - nur weil nach Schichtwechsel die Leute noch nicht so lange unten waren, überlebten sie den plötzlichen Druckabfall", sagt der Hamburger Fachbuchautor Sven Bardua. Und Glück hatten die Arbeiter auch, weil ihr Bauwerk nicht vollends geflutet wurde. Nachrutschender Schlamm verschloss das Austrittsloch wieder.

Zwei Jahre dauerten die Arbeiten an einem der spektakulärsten Bauwerke seiner Zeit noch an - dann im September 1911 wurde der Hamburger Elbtunnel, der heutige Alte Elbtunnel, eröffnet. Im Herbst soll es daher in Hamburg die große Jubiläumsfeier geben. Anlass für die Bundes-Ingenieurkammer, den Tunnel in diesem Jahr zum "Historischen Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland" zu erklären. Eine Auszeichnung, die nur wenige wirklich herausragende Konstruktionen, wie etwa der in den 30er-Jahren gebaute Flughafen Berlin-Tempelhof, erhalten haben, sagt Kammer-Präsident Jens Karstedt.

Am Freitag stellte er im Hafenklub an den Landungsbrücken das neue Buch von Bardua vor, der etliche Details zur Vorgeschichte und zum eigentlichen Bau des Tunnels zusammengetragen hat. Der Blick dort aus dem Fenster fällt direkt auf die Elbe. Hin und wieder schippert eine Barkasse vorbei, dann wieder ein Schlepper. "Stellen Sie sich den Hafen vor 100 Jahren vor", fordert Autor Bardua die Besucher der Buch-Präsentation auf. Damals habe es noch ein Gewimmel von Schiffen und Schuten auf dem Fluss gegeben. Fähren konnten kaum kreuzen. Doch Tausende Werftarbeiter mussten täglich auf die andere Elbseite.

Schon in den 1870er-Jahren gab es in Hamburg daher Pläne für eine Elbquerung, sagt Bardua. Anfangs dachte man im Senat an eine Hochbrücke, die wegen der Segelmasten mehr als 50 Meter hoch hätte gebaut werden müssen. Doch eine solche gigantische Lösung wurde bald als zu teuer verworfen. Dann gab es die Idee einer Schwebebrücke - die wäre zwar deutlich günstiger geworden. Aber man hätte längst nicht so viele Menschen zwischen beiden Elbufern transportieren können, wie es nötig gewesen wäre. So entstand schließlich die Idee eines für damalige Verhältnisse spektakulären Unterwassertunnels. Vorbild dazu war ein Tunnel in Glasgow, gleichwohl wurden für den Elbtunnel viele spezielle Konstruktionen erst entwickelt. Und die Ingenieure gingen nach dem Prinzip vor, technisch möglichst perfekt zu arbeiten. Fugen wurden mit Blei abgedichtet, Verbindungen nicht geschraubt, sondern genietet. "Nur deshalb hält er bis heute", sagt Bardua. Tatsächlich hat der Alte Elbtunnel im Vergleich zu vielen anderen Unterwasserbauwerken seiner Zeit eine beachtliche Überlebenszeit - auch wenn aktuell die beiden rund 400 Meter langen Röhren saniert werden.

Aber es muss mühsam gewesen sein, den Tunnel durch den Untergrund zu treiben. Gut 40 Grad herrschten dort unten, mit einfachen Schaufeln und von Hand geschobenen Loren schafften die Tunnelbauer den Abraum weg, nieteten die Stahlkonstruktionen im engen Schacht und betonierten die Röhren. Mehr als 4000 Männer arbeiteten damals dort - meist junge Menschen aus vielen Ländern Europas. Anfangs wurden viele von ihnen krank, bekamen starke Schmerzen. Eine Folge der Druckluft, später auch als "Taucherkrankheit" bekannt. Unter Druck steigert sich dabei mit der Zeit die Konzentration von Stickstoff im Körper. Beim plötzlichen Verlassen einer Druckzone bilden sich Gasblasen, die das Gewebe verletzten können. Viel wusste man damals nicht darüber, aber es gab schon Druckkammern, damit die Arbeiter einen Druckausgleich vornehmen konnten. Bis 1908 aber waren die Schleusenzeiten zu kurz. Drei Männer starben, etwa 700 erlitten Verletzungen. Erst nach Protesten verbesserte sich der Arbeitsschutz auf der Baustelle. "Es kann den Behörden nicht gleichgültig sein, unter welchen Umständen ein wichtiges Staatswerk zustande kommt", schrieb damals das "Hamburger Echo".

Nach seiner Eröffnung wurde der Tunnel rasch zu einer zentralen Verbindung. 19 Millionen Fußgänger wurden 1923 gezählt. In den 50er-Jahren registrierte man immer noch fünf Millionen Menschen, die den Tunnel pro Jahr nutzten. Bis zu 900 000 Autos rollten bald schon jährlich durch die eigentlich für Pferdefuhrwerke gebauten Röhren. Mit dem Niedergang des Schiffbaus ebbten die Zahlen wieder ab - doch heute erlebt der Tunnel quasi eine touristische Blüte: Neben 100 000 Autodurchfahrten werden jährlich immer noch 750 000 Fußgänger gezählt. Und das, sagt Autor Bardua, sind meist Besucher, die einfach nur des Tunnels wegen durch den Tunnel gehen.

Das Buch kostet 9,80 Euro, Bestellung im Internet: www.bingk.de/order-hw