Seit der Bürgerschaftswahl 2008 betreiben die grünen Macher Politik als eine Art Trickkiste, kritisiert der frühere Partei-Vordenker Kurt Edler - ohne Theorie und Strategie

Auf dem grünen Oppositions-Boot in Hamburg drängen sich nun bewährte Experten, die wissen, wie man den eigenen Dampfer versenkt. Unter den 14 Abgeordneten der Bürgerschaftsfraktion der GAL (Grün Alternative Liste) sind gerade mal fünf neue. Zwei davon sind die Parteivorsitzenden. Das Innovationspotenzial hält sich in Grenzen. Am vergangenen Montag hat sich diese Mannschaft für den alten Kapitän entschieden. Nun rudert sie trotzig auf den roten Senatsdampfer zu, um ihn zu rammen. Zum Glück kann im Plenarsaal niemand ertrinken.

Wie kann es sein, dass eine Partei, deren Name einst für politische Umwälzungen stand, heute so viel Angst vor ihrer eigenen, längst überfälligen Reform hat?

Auf den Mitgliederversammlungen hat die GAL-Nomenklatura eine bequeme Mehrheit. Die paar jungen Wadenbeißer gehören fast schon zur Dekoration. Vieles ist inzwischen Ritual, ist Öko-Kitsch. Vom Pazifismus ist vor allem eines übrig geblieben: die interne Konfliktvermeidung. Die GAL ist einem spießigen Konventionalismus erlegen, der ihre eigene Klientel im Grunde längst anwidert.

Während die Linkspartei und die Piratenpartei politische Botschaften auf die Straße brachten, hatte kein GAL-Plakat etwas mit der aktuellen Situation zu tun. Ihre Kandidatinnen und Kandidaten lächelten den Bürger schweigend an - ohne jeden Text. Offenbar hatten sie nichts Politisches mitzuteilen.

Wer diese Partei kennt, weiß, dass die großen Entscheidungen seit der Bürgerschaftswahl von 2008 aus der hohlen Hand getroffen wurden. Für diese Generation der grünen Politikmacher ist Politik zu einem bloßen Handwerk geworden, das ohne Theorie und Strategie auskommt.

Keiner der großen Entscheidungen ging ein innerparteilicher Strategiediskurs voraus, bei dem sich die Hauptverantwortlichen auf ein Konzept festlegten. Es gibt einen sonderbaren Mangel an Selbstfestlegungen. Der Opportunismus grassiert. Der eigentliche Kreis der grünen Macher kommt mit Gebrauchslyrik aus und betrachtet, wenn man seinen Parteitagsauftritten folgt, Politik als eine Art Trickkiste.

Ausgerechnet der knochentrockene Olaf Scholz nahm der GAL mit einer Kampagne die Butter vom Brot, die eigentlich von ihr selber hätte stammen können. Der Super-Pragmatiker kommunizierte schlicht und einfach Werte. Vertrauen, Klarheit, Verantwortung - und der Wähler konnte die dezente Kritik, die daran lag, leicht auf die schwarz-grüne Trümmerlandschaft beziehen. Es lag in der SPD-Kampagne eine gewisse Sprödigkeit, eben die Wortkargheit, die wir von Scholz kennen - aber gerade das machte sie so authentisch.

Die GAL-Kampagne wirkte demgegenüber wie ein dissonantes Gebrabbel. Es gab kein einziges Plakat der GAL zur politischen Situation in Hamburg und in Broschüren nur Maßnahmen, Kataloge, Strukturvorschläge. Bienenfleißig.

Wieder einmal verwechselte die GAL Politik mit Verwaltung. So war schon die Schulreformkampagne ein kommunikatives Desaster gewesen - die Selbstverstrickung in überkomplexen Strukturmodellen und Maßnahmenbündeln.

Die grüne Sprachlosigkeit nach dem Volksentscheid zur Primarschule, die Unsicherheit im Umgang mit Ole von Beusts Rücktritt, das leise Flöten vor dem Koalitionsbruch, die völlige Konzeptionslosigkeit und der Putschismus desselben, das plötzliche Gerede von Rot-Grün in völliger Vergessenheit der schmerzlichen Rot-Grün-Erfahrung von 1997-2001 - man hatte fast den Eindruck, die GAL wollte sich nur noch an Zugereiste oder an Menschen mit Gedächtnisverlust wenden.

"Wer Rot-Grün will, muss Grün wählen", lautete ein Last-Minute-Aufkleber auf den Wahlplakaten. Aber wieso mit einem Mal Rot-Grün, mussten sich die Hamburgerinnen und Hamburger fragen.

Hier wurde offenbar der taktische Wunsch der Partei ganz linear in die Wählerschaft hineinprojiziert. Die jedoch hatte ganz andere Probleme mit dem politischen Spektakel der letzten drei Jahre.

Und die GAL war so naiv zu glauben, sie könne das Scheitern von Schwarz-Grün allein der CDU in die Schuhe schieben. Dabei blieb die platte Spekulation auf einen Stimmengewinn, die sich mit der anlasslosen Koalitionsaufkündigung verband, dem Wähler nicht verborgen.

Wieder einmal hat ausgerechnet die GAL den Bürger für dümmer gehalten, als er ist, und sie hat sich damit gründlich verzockt.