Verteidigungsminister zu Guttenberg hatte am letzten Donnerstag nach der Bundestagsdebatte wohl das Gefühl, den Sturm der Entrüstung über seine Doktorarbeit überstanden zu haben und im Amt bleiben zu können. Dabei half ihm auch die Universität Bayreuth, indem sie ihm zwar den Doktortitel aberkannte, aber zunächst den Vorwurf der absichtlichen Täuschung nicht weiter verfolgte. Doch der Sturm entwickelte sich inzwischen zum Orkan und erfasst in atemberaubender Geschwindigkeit das ganze Land. Wie ist das zu erklären?

Dazu will ich zunächst die Fakten jenseits der Äußerungen von Politikern aufzeigen. Im Internet ( http://de.guttenplag.wikia.com/wiki/Plagiate ) wird für jeden nachprüfbar dokumentiert, dass Herr zu Guttenberg auf 286 Seiten seiner 400 Seiten Text umfassenden Doktorarbeit (das bedeutet 72 Prozent) mindestens einen größeren Absatz wörtlich aus fremden Literaturquellen übernommen hat, ohne es zu kennzeichnen. Dies stellt eine schwerwiegende Täuschung der Promotionskommission, aber auch der Öffentlichkeit dar, da die Doktorarbeit veröffentlicht ist. Der Verteidigungsminister hat versucht, dies durch "Schlampigkeit", "Überforderung" und "handwerkliche Fehler" zu erklären, um nicht zugeben zu müssen, dass er bewusst, d. h. absichtlich getäuscht hat, denn dies hätte fatale Folgen für ihn.

Doch diese "Verteidigungslinie" gerät ins Wanken, wenn man die abgeschriebenen Absätze genauer analysiert. An vielen Stellen werden die sonst wörtlichen Übernahmen durch kleine Satzumstellungen verändert oder Zahlen korrigiert, wie in der Einleitung, wo die Gründung der USA im abgekupferten Original "vor rund 200 Jahren" stattfand, in der Doktorarbeit von zu Guttenberg "vor über 215 Jahren". Dass dies aus "Versehen" verändert wurde, ist praktisch unmöglich, da die Aussage kein handwerklicher Fehler, sondern sogar genauer als das Original ist. Viele Beispiele könnten hier angeführt werden und sind auf der Internetseite für jeden erkennbar. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in einem gleich gelagerten Fall eines Plagiats in einer Doktorarbeit mit Urteil vom 13.10.2008 (Aktenzeichen 9 S 494/08) ausdrücklich festgestellt (Absatz 9), dass Umstellungen und Veränderungen fast wörtlich übernommener Passagen die "gezielte Verschleierungsabsicht" des Verfassers belegen. Dem ist juristisch nichts hinzuzufügen.

Nachdem viele Menschen die Internetseite aufmerksam studiert haben, wird der Orkan der Entrüstung verständlich, denn das wissenschaftliche Vorgehen des Verteidigungsministers ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Eine solche Fülle der rechtswidrigen Aneignung fremden geistigen Eigentums ist mir in meiner fast 40-jährigen wissenschaftlichen Tätigkeit mit Tausenden Examensarbeiten und mehr als 50 Doktorarbeiten noch nie vorgekommen. Warum sein "Doktorvater" diese Täuschung nicht bei der Entstehung der Arbeit oder spätestens bei der Korrektur bemerkt hat, bleibt sein Geheimnis.

Die klare und wahrheitsgemäße Angabe des geistigen Eigentums anderer Menschen in einer wissenschaftlichen Arbeit ist die tragende Säule der Wissenschaft schlechthin, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Geben wir dieses Prinzip auf, ist keine wissenschaftliche Erkenntnis mehr überprüfbar und damit der wissenschaftliche Fortschritt in seinen Grundfesten erschüttert. Das dürfen wir als Wissenschaftler und als Staatsbürger nicht zulassen.

Ich glaube, dass die jetzt anlaufenden Demonstrationen und Unterschriften-Sammlungen gegen den Verteidigungsminister auch den Zorn vieler widerspiegeln, die mit hohem persönlichen Einsatz als junge "Familienväter und -mütter" ihre Examens- und Doktorarbeiten mit wissenschaftlicher Akribie und Ehrlichkeit geschrieben haben. Zu diesen Menschen zählen mehr als 99,9 Prozent meiner Studierenden, und ich bin sicher, dass dies auch an anderen Universitäten gilt.

Bei den Universitäten der Bundeswehr bekommen studierende Offiziere bei Plagiaten nicht nur ihre akademischen Grade aberkannt, sondern ein Disziplinarverfahren, das ihre Entlassung zur Folge haben kann. Wie passt das Verhalten ihres obersten Dienstherrn hierzu?

Das Fazit dieses Falles ist für mich eindeutig: Herr zu Guttenberg ist aufgrund der massiven Täuschungen in seiner Doktorarbeit für ein herausragendes politisches Amt, etwa als Bundesminister, nicht geeignet. Er sollte von der Kanzlerin unverzüglich entlassen werden.