Angeklagter sah schwer verletzten Freund - und rastete aus

St. Georg. Die Tat ist unfassbar brutal: Ein Mann schlägt mit einer Holzkeule auf den Schädel eines Jugendlichen. Ein Mann, der als Täter vor Gericht steht, zugleich aber auch Opfer ist. Abdul D., 27, musste mit ansehen, wie ein Jugendlicher seinen Freund Volkan beinahe erstochen hätte. Er verfolgte den gerade mal 17 Jahre alten Täter und verletzte ihn schwer.

Abdul D. ist ein akkurat gekleideter junger Mann mit zurückgegelten Haaren, kein "gewalttätiger Mensch", wie er im Amtsgericht St. Georg betont, wo er sich gestern wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten musste. Er hat einige krumme Dinger gedreht: Beförderungserschleichung, Diebstahl, einmal ist er beim Dealen erwischt worden. Aber eine Körperverletzung, zumal eine so massive, hatte er sich bislang nicht zuschulden kommen lassen.

Es geschah am 27. April. Abdul D. wartet mit seinem Freund an der Horner Rennbahn auf den Bus, da steuert eine Gruppe Jugendlicher auf sie zu, unter ihnen der erst 17 Jahre alte Serkan H. (Name geändert). "Was guckst du?" habe der Jugendliche ohne jeden Grund gerufen und gleich ein Jagdmesser gezückt. "Ich habe dem rein gar nichts getan, aber er hat sofort in Richtung meines Halses gestochen" sagt Abdul D. In einem Imbiss alarmiert er die Polizei, zurück am Tatort sieht er seinen Freund Volkan mit blutüberströmtem Gesicht. Abdul D. verfolgt den flüchtigen Täter, fordert ihn auf, das Messer fallen zu lassen und stehen zu bleiben. 30 Minuten dauert die Hatz, er habe sich völlig überfordert gefühlt, sagt Abdul D. Er bittet Passanten um Hilfe - allerdings vergeblich.

Ein paar Schritte Vorsprung hat der noch immer hoch aggressive Täter, der mit dem Messer herumfuchtelt und droht: "Wenn du nicht abhaust, bringe ich dich um, wie deinen Freund." Als der 17-Jährige am Pagenfelder Platz in einem Auto flüchten will, fährt der Wagen an, während er sich am Türgriff festhält. Einige Meter wird Serkan H. mitgeschleift, prallt mit dem Hinterkopf aufs Straßenpflaster. Abdul D. sagt vor Gericht, er habe dann mit einer Holzlatte, die er unterwegs gefunden habe, auf den Jugendlichen eingeschlagen. Es waren wuchtige Hiebe, wie viel wisse er nicht, sagt Abdul D. "Ich hatte Angst, dass der wieder mit dem Messer zusticht, ich fühlte mich hilflos. Aber ich wollte ihm gar nicht so wehtun."

Der jugendliche Täter erleidet einen Schädelbasisbruch, akut lebensgefährlich sind die Verletzungen nicht. Wesentlich schlimmer hat es Volkan erwischt, der mit vier Bauchstichen in die Klinik eingeliefert wird und nur mit viel Glück überlebt. Die sinnlose Attacke habe er bis heute nicht verdaut. "Er hat ständig Albträume, kann nicht mehr schlafen", sagt Abdul D. Das Landgericht hat Serkan H. bereits wegen versuchten Totschlags zu zwei Jahren und neun Monaten Jugendstrafe verurteilt.

Abdul D. kommt trotz der massiven Verletzungen mit 840 Euro Geldstrafe davon - aber auch nur, weil das Gericht aufgrund der Vorgeschichte von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgeht. Gleichwohl berücksichtigt die Staatsanwältin strafschärfend, dass der eigentliche Angriff schon vorüber war, als Abdul D. ausrastete. In Notwehr habe der 27-Jährige jedenfalls nicht gehandelt. "Dass Sie in so einem Fall nur eine Geldstrafe erhalten", sagt die Amtsrichterin, "ist ein absoluter Sonderfall."