Das sagenumwobene Getränk Absinth liegt wieder im Trend. Angstfreie können in einer Schanzen-Bar probieren

Sternschanze. Der übliche Schanzentrubel: Radfahrer klingeln sich den Weg durch die Fußgängermassen frei, ein paar Punks stehen biertrinkend am Eingang zur S-Bahn-Station, Amüsierwillige strömen an ihnen vorbei Richtung Schulterblatt. Die Atmosphäre ist unruhig bis rastlos. Und inmitten dieser hektischen Umgebung liegt die Bar von Jan Jepsen, 36, und Yvonne Neumann, 35. Wer ihren Laden betritt, betritt eine andere Welt. Eine gedämpfte, langsamere Welt. Die Hektik bleibt wie ein angeleinter Hund draußen vor der Tür. Leise ist Musik aus den 20er-Jahren zu hören. Obwohl alle Tische besetzt sind, bleibt die übliche Geräuschkulisse einer Bar aus. Hinter dem Tresen stehen die beiden Inhaber und Hunderte Flaschen Absinth. Genau dieses Gesöff steht hier im Mittelpunkt - in Hamburgs einziger Absinth-Bar.

"Wir haben 400 Sorten zur Auswahl", sagt Jepsen und zeigt auf die Glasregale an der Wand. Dort stehen viele mit einer grünen Flüssigkeit gefüllte Flaschen und einige mit farblosem und rotem Inhalt. "Es ist ein Irrglaube, dass Absinth immer grün ist", sagt Jepsen. Aber Vorurteile gäbe es eh genügend (siehe Infokasten).

Wenn einem Gast sein Getränk besonders gut schmeckt, habe er auch die Möglichkeit, eine ganze Flasche davon zu kaufen, denn Jepsen und Neumann betreiben nach eigenen Angaben auch den weltweit größten Absinth-Handel. Die günstigste große Flasche kostet 25, die teuerste 300 Euro. "Das exotischste Ziel unserer Lieferungen war bisher Hawaii", sagt Jepsen. Aber auch in Kanada, Australien und den USA haben sie Kunden. Die meisten Absinthe werden in Europa hergestellt, exakt hier hat die Spirituose aus Wermut auch ihren Ursprung - genauer: in der Schweiz. Und von dort aus eroberte das Getränk Frankreich. "Das passte damals perfekt in die Zeit der Boheme und Künstler", sagt Jepsen. Später rankten sich Mythen und Schauergeschichten rund um das Getränk. 1929 wurde es in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern verboten. "Das war reiner Lobbyismus", sagt Jepsen. Der Weinindustrie und der damals aufkommenden Anti-Alkohol-Bewegung sei der zunehmende Konsum der grünen Spirituose ein Groll gewesen. Mittlerweile ist das Verbot wieder aufgehoben und der Absinth-Genuss: Trend.

"Zu uns kommen immer mehr Leute, auch die Stammgäste werden mehr", sagt Neumann. Einer von ihnen ist Nils Roderjan. Der Architekt aus Bergedorf kommt mindestens einmal in der Woche nach der Arbeit vorbei. Viele Absinthe hat er schon probiert, von seiner Lieblingssorte hat er eine Flasche zu Hause. Heute hat er sich für die Hausmarke entschieden, die nach einem geheimen Rezept der Inhaber hergestellt wird. "Das ist wie der Unterschied zwischen dem Genuss einer guten Pfeife und der schnellen Zigarette zwischendurch", beschreibt Roderjan das Besondere am Absinth. Das Ruhige in der spärlich belichteten Bar ist Konzept.

"Wir bieten den Leuten etwas Entschleunigung in der stressigen Zeit heute", sagt Inhaberin Neumann. Dabei hätten Genuss und Service Priorität. Um die Gäste nicht zu stören, verstummt nun auch das Gespräch. Einen Absinth noch zum Probieren? Warum nicht, die Hausmarke bitte! Wenig später steht ein kleines Glas mit grünem Inhalt auf dem Tisch. Darauf liegt ein Absinthlöffel, ein schmuckvoll geformtes Besteck mit kleinen Löchern und einem Stück Zucker. Nun gilt's: Anzünden, abwarten, umrühren - und genießen. Aber: gaaanz langsam.