Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall.

Sie ist ein Mensch der leisen Töne. Sanfte Stimme, zartes Gemüt, und wenn jemand anderes laut wird, fährt sie regelrecht zusammen. Eine zurückhaltende Frau, ganz sicher. Aber bieten lässt sich Mascha L. deshalb noch lange nicht alles. Nicht, wenn es ihr deutlich zu bunt wird. So wie damals, sagt die 24-Jährige, als sie mit dieser anderen Frau aneinandergeriet. Nicht nur, dass die mit deren Wagen ihr Auto touchiert und letztlich Fahrerflucht begangen habe. Nein, sie sei auch noch unflätig geworden, die Dame, und aggressiv.

Die Frau, die Mascha L. so rüde behandelt haben soll, sitzt jetzt wenige Meter entfernt von ihr im Gerichtssaal auf der Anklagebank - und wirkt so gar nicht wie der Inbegriff einer Furie. Keine Spur von Unbeherrschtheit, nicht der Hauch von Aggressivität. Ausgeglichenheit strahlt Karin K. aus und Selbstbeherrschung, eine Frau mit ruhiger Stimme, gesetzten Worten und sparsamen Gesten. Eine Angeklagte, die alle Vorwürfe von sich weist und sich als passiv darstellt, als jemand, der lediglich "Stress entgehen" wolle. Sie sei unschuldig, betont die 35-Jährige. Zwei Frauen mit zwei Versionen über die Geschehnisse vom 1. Juni vergangenen Jahres, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Und was für eine hauchdünne Grenze mitunter zwischen Wahrheit und Fälschung liegt, zwischen glaubhafter Aussage und zweifelhafter Darstellung, zeigt später der Ausgang des Verfahrens. Denn der Staatsanwalt fordert am Ende Freispruch für die Angeklagte, das Gericht jedoch verurteilt. Eine eher seltene Konstellation.

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort lautet also der Vorwurf, der Karin K. vor Gericht gebracht hat. Die 35-Jährige habe beim Versuch, ihren Wagen in eine Parklücke zu fahren, einen anderen Wagen geschrammt und einen Schaden von mehr als 700 Euro verursacht, heißt es in der Anklage. Doch die zweifache Mutter stellt sich eher als Opfer einer Auseinandersetzung um einen Parkplatz dar. Sie habe nach der Trennung von ihrem Ehemann an jenem Tag ihre Wohnung aufgelöst und mit ihren beiden Kindern noch zur Bank gehen wollen. Doch eine andere Frau habe ihr den Parkplatz streitig gemacht. "Sie stieg aus", schildert die Frau im rosafarbenen Rollkragenpulli, "und ich auch, weil ich den Streit von meinen Kindern fernhalten wollte." Doch schließlich habe sie sich, um weiterem Zwist aus dem Weg zu gehen, "entschlossen, wegzufahren". Dass sie ein anderes Auto berührt haben solle, habe sie erst bemerkt, "als ich Post von der Polizei bekam und daraufhin mein Auto in Augenschein genommen habe". Beim Vorfall selber habe sie jedenfalls "keine Erschütterung, kein Knirschen, Knacken oder was auch immer gehört".

Ganz sicher jedoch, ist Zeugin Mascha L. überzeugt, müsse die Angeklagte seinerzeit ihren Hinweis vernommen haben, dass sie ihr Auto angefahren habe. Karin K. habe sie daraufhin wüst beschimpft und ihr angedroht, sie solle aufpassen, "dass ich nicht eins auf die Fresse kriege". Zudem habe die Angeklagte sie geschubst, erzählt die zierliche 24-Jährige. Sie trage "auch privat hochhackige Schuhe", sagt die Frau, die auch zum Gerichtstermin in Stilettos und Ultramini erschienen ist, und sei von dem Stoß von der Angeklagten ins Stolpern geraten.

Etwaige weitere Konfrontationen will der Vorsitzende Richter schon im Keim ersticken. Und so erzählt er, bevor er die Kontrahentinnen zum Ansehen von Unfallfotos zum Richtertisch bittet, aus seinem reichen Erfahrungsschatz als Jurist. Er habe in einem früheren Verfahren schon einmal zwei "Streithähne" in einer ähnlichen Situation gehabt, als der Angeklagte den Zeugen plötzlich bespuckt habe. "Der wanderte dann direkt für drei Tage ins Gefängnis." Hier, betont der Richter und fixiert die beiden Frauen vor ihm, gehe er davon aus, dass es "gesittet zugehen" werde. Dies scheint auch ganz im Sinne von Karin K. und Mascha L. zu sein. Giftigkeiten und böse Worte, so wirkt es im Gerichtssaal, sind ihrer beider Sache nicht.

Und doch führt kein Weg daran vorbei, dass eine von ihnen jetzt im Prozess die Unwahrheit gesagt haben muss. Für den Staatsanwalt war es die Zeugin, deren Darstellung von einer schubsenden Angeklagten er für übertrieben hält. Deshalb habe er auch Zweifel an der Aufrichtigkeit der Aussage insgesamt, argumentiert der Ankläger und plädiert auf Freispruch. Richter und Schöffen dagegen kommen zu dem Ergebnis, dass sie der Zeugin glauben und Karin K. wegen Unfallflucht zu verurteilen ist. Am Ende verhängen sie eine Geldstrafe von 300 Euro. Er glaube ihr, sagt der Richter an die Angeklagte gewandt, dass sie den Aufprall selbst nicht gehört habe. Doch nach der Ansprache durch die Zeugin hätte sie anders reagieren müssen, nicht aggressiv werden und vor allem nicht einfach wegfahren dürfen, redet er ihr ins Gewissen. "Sie hatten einen schlechten Tag. Sie sind keine Kriminelle. Aber Sie haben eine Straftat begangen."