Horst Seehofer hat ein Grundgesetz politischer Abläufe auf den Punkt gebracht: "Ein Minister stürzt nur, wenn es die eigene Partei will." Der CSU-Vorsitzende hätte noch hinzufügen können: Der Wille der Partei richtet sich danach, ob sie von dem wankenden Minister für die Zukunft mehr Nutzen oder mehr Schaden erwartet.

Bei Karl-Theodor zu Guttenberg ist sich die Unionsspitze einig: Er nützt. Deshalb wollen CDU und CSU die Affäre um die abgeschriebene Doktorarbeit durchstehen. Deshalb nehmen sie in Kauf, dass auch ihre eigene Moral und Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen werden, wenn sie an Guttenberg festhalten. Kanzlerin Angela Merkel hat, ungewöhnlich, den Fall Guttenberg zu ihrem eigenen Fall gemacht. Obwohl sie nicht die Parteivorsitzende des CSU-Mannes ist, suchte sie schon ganz zu Anfang der Affäre den Kontakt zu ihm. Und am Montag, noch bevor Guttenberg den Verzicht auf den Doktortitel erklärte, gab sie bereits die Unionsstrategie für die Wochen bis zur Entscheidung der Universität Bayreuth vor: Sie habe ihn nicht als "wissenschaftlichen Assistenten oder Doktoranden" ins Kabinett berufen. Damit bagatellisiert Merkel schon mal vorab, was an akademischen Untersuchungen und Beschlüssen noch kommen mag.

Merkel preist Guttenbergs Arbeit als Verteidigungsminister. Doch unverzichtbar ist er für die CDU-Chefin aus einem anderen Grund. Den machte der Minister bei seinem Auftritt im hessischen Kelkheim deutlich. Da gab er keineswegs den nachdenklichen Selbstzweifler, sondern den eher antiintellektuellen Volksredner. "Ich bin ein Mensch mit Fehlern und Schwächen", rief er dem Publikum zu. Ein dickes Lob für Sarrazin, viel Schelte für die "Hauptstadtpresse" - wer diese Melodie anstimmt, für den ist ein Doktortitel ohnehin eher hinderlich.

Angela Merkel ist zuletzt von vielen Politik-Experten geraten worden, den rechten Rand der Union zu stärken. Vielfach wurde die Gefahr einer neuen populistischen Partei außerhalb des demokratischen Spektrums beschworen. Mit Guttenberg, so wie er in Kelkheim auftrat, hat Merkel diese Gefahr gebannt. Guttenberg ist ihr Wahlkampf-Joker, schon für die Landtagswahl am 28. März in Baden-Württemberg, und weit darüber hinaus. Die Kanzlerin hat ihren politischen Stil zielstrebig von Moderation auf Konfrontation umgestellt. Sie erklärte die Grünen zum Hauptgegner, stabilisierte damit das eigene Lager und brachte die lange weit abgeschlagene schwarz-gelbe Koalition in den Umfragen wieder auf Augenhöhe mit Rot-Grün.

Wie ihre Wahlkampf-Strategie weitergeht, hat Merkel Anfang des Jahres im Hamburger Abendblatt angedeutet, als sie prophezeite, "dass Rot-Rot-Grün im Bund keine Sekunde mit einer Koalition zögern würden, wenn sie eine Mehrheit hätten". Kurz zuvor hatte schon FDP-Chef Guido Westerwelle beim Dreikönigstreffen proklamiert: "Wir werden kämpfen, weil Deutschland Besseres verdient hat als eine linke Mehrheit."

Die wirre Linkspartei mit ihren kommunistischen Flausen könnte, wenn Merkels und Westerwelles Rechnung aufgeht, zum ernsten Problem für SPD und Grüne werden. Schon in Baden-Württemberg, wo eine rot-grüne Regierungsübernahme inzwischen nur noch mithilfe der Linken möglich erscheint. Durch Warnungen vor dem rot-rot-grünen Chaos wird Schwarz-Gelb in den kommenden Wochen versuchen, den eigenen Anhang zu mobilisieren und die Wahl doch noch zu gewinnen.

Mobilisieren, Polarisieren - dafür ist Karl-Theodor zu Guttenberg der richtige Mann. Seine Wahlkampf-Auftritte in Baden-Württemberg werden, jetzt erst recht, als Triumphzüge inszeniert werden. Gerade dann, wenn er vom politischen Gegner attackiert wird, kann Guttenberg eine politische Lagerstimmung erzeugen. Die gegen uns, wir gegen die - da rückt man zusammen. Guttenbergs Popstar-Status bei eher unpolitischen Wählern wird durch das Gejammer von ein paar Professoren und das Gemecker der Opposition (und der "Hauptstadtpresse") schon nicht angekratzt werden, so etwa dürfte das Kalkül der Unionsspitze lauten.

Verwerflich ist das alles nicht. Denn es ist politisch, es lässt dem Wähler die Entscheidung - und es ist auch riskant. Sollten sich in der Affäre um den Verteidigungsminister neue Fakten ergeben, die seinen Rücktritt wirklich unvermeidlich machen, dann wäre auch Merkel schwer beschädigt. Und sollte die Wahl in Baden-Württemberg zum Fiasko werden, wäre sie es ebenfalls. Geht die Wahl aber gut aus, ist die Kanzlerin übern Berg. Und Guttenberg auch.