Tim Renner, 46, Ex-Chef von Universal Deutschland, lehrt an der Popakademie Baden-Württemberg.

Hamburger Abendblatt:

1. Wie schon beim Vorgängertitel "In Rainbows" verkauft die britische Band Radiohead ihr neues, achtes Album, "The King of Limbs", zunächst nur über das Internet. Auf der Band-Homepage kann man es für sieben Euro runterladen. Ist das die Zukunftsmusik?

Tim Renner:

Es ist richtig und konsequent, dass eine Band ihr Album ohne Zwischenhändler direkt anbietet. Sie steckt nicht mehr Tausende Euro in Marketingkampagnen, sondern legt einfach spontan los.

2. Aber was bedeutet das für die Musikindustrie, um die es eh schon schlecht steht?

Renner:

Für die Branche bedeutet das, dass sie sich auf Dauer neu organisieren muss. Sie wird nur dann den Wandel überleben, wenn sie sich darauf einstellt, auch Dienstleister zu sein. Die Musikindustrie muss Bands wie Radiohead Services anbieten, die sie nutzen können. Und sie muss sich endlich darauf einstellen, dass die Leute immer weniger CDs kaufen werden. Sie ziehen sich lieber Files im Internet. Und das häufig illegal, weil das legale Angebot einfach noch nicht gut genug ist.

3. Aber auf illegale Downloads reagiert die Branche mit Bußgeldern und Klagen. Hat diese Strategie Zukunft?

Renner:

Das Ziel darf nicht sein, den Konsumenten zu verängstigen. Stattdessen muss man dafür sorgen, dass das legale Angebot mindestens so gut ist wie das illegale. Radiohead macht es richtig und bietet die Songs als hochwertige MP3-Files, nicht komprimiert, an. Der Fan bekommt die neuen Songs schneller als Medien und Tauschbörsen.

4. Hat die Branche die Chancen der Digitalisierung verschlafen?

Renner:

Sie war nie begeistert von der Digitalisierung. Sie birgt nämlich dieselben Probleme, wie sie Gaddafi oder Mubarak haben: Der Konsument wird demokratischer in der Entscheidung. Er kauft nicht mehr automatisch eine CD mit zwölf Stücken, sondern lädt sich gezielt nur zwei oder drei Titel runter, die er haben will. Demokratisierung macht den Künstler auch viel eigenständiger. Und das ist schwierig, wenn man einen Markt kontrollieren will.

5. Wie lange wird es denn die CD noch geben?

Renner:

Ich halte die CD für eine Missgeburt der Geschichte. Haptisch ist ihr das Vinyl überlegen. Das Knistern beim Auflegen des Tonarmes hat ja was Rituelles. Praktisch ist ihr der Download überlegen, er ist handlicher und mobiler. Dazwischen hängt die wenig geliebte CD. Das ist der Grund, warum sich der Vinyl-Verkauf im letzten Jahr verdoppelt hat und der Download auf dem Vormarsch ist. Es war abzusehen. Ich weine der CD nicht hinterher.