Prof. Dr. Dieter Lenzen, 63, ist seit März 2010 Präsident der Uni Hamburg.

1. Hamburger Abendblatt:

Wie häufig fallen Betrugsversuche in Doktorarbeiten oder anderen wissenschaftlichen Arbeiten auf, wie jetzt im Fall der Dissertation von Verteidigungsminister zu Guttenberg?

Dieter Lenzen:

Es gibt keine zuverlässigen Zahlen über Missbrauchsfälle. Die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung wächst aber mit dem Einsatz von plagiatsidentifizierenden Computerprogrammen. Die Sensibilität dafür ist zudem deutlich gewachsen.

2. Hat sich das Problem des Abschreibens in der Wissenschaft durch die modernen Computer- und Kopiermöglichkeiten wesentlich verschärft?

Lenzen:

Ja, die Lage hat sich zweifellos verändert. Die Technik des schnellen und einfachen Kopierens aus dem Internet und den digitalen Medien ist leider bereits in der Schule sehr verbreitet. Das Unrechtsbewusstsein gegenüber solchen Formen des Diebstahls am geistigen Eigentum sowie der Anmaßung eigener Kompetenz hat sich deutlich geändert.

3. Müssen wir davon ausgehen, dass viele Täuschungsversuche unentdeckt bleiben, weil zum Beispiel übernommene Textstellen leicht verändert wurden?

Lenzen:

Es ist leider zu befürchten, dass Plagiate immer dann unentdeckt bleiben, wenn Fakultäten auf den Einsatz moderner, plagiatsidentifizierender Technik verzichten. Eine zahlenmäßige Größenordnung ist hier leider nicht verfügbar. Insbesondere fremdsprachige Plagiate bleiben unentdeckt, wenn Originalzitate übersetzt übernommen werden.

4. Bei welcher Art von Plagiatsnachweis muss eine Universität den Doktortitel am Ende aberkennen?

Lenzen:

Die Prüfungsordnungen regeln diese Fragen in unterschiedlicher Weise. Wesentlich ist aber weniger die Anzahl der übernommenen und nicht gekennzeichneten Wortfolgen (etwas anderes kann eine Software auch nicht identifizieren) als die Übernahme von fremden Forschungsergebnissen oder theoretischen Überlegungen, die erst die eigentliche Leistung einer wissenschaftlichen Arbeit ausmachen. In diesen Fällen muss besonders interveniert werden.

5. Müssen die Universitäten in Zukunft Doktorarbeiten noch strenger und systematischer kontrollieren?

Lenzen:

Die Sensibilität für Fragen der wissenschaftlichen Ethik ist in den vergangenen Jahren insgesamt gestiegen, ebenso übrigens wie die Sensibilität für gefälschte Forschungsergebnisse, die regelmäßig die Wissenschaft erschüttern. Eine seriöse Fakultät wird dafür Sorge tragen, dass solche Fälle so weit wie irgend möglich zurückgedrängt werden, auch ohne eine Art von "Wissenschaftspolizei" zu etablieren. Maß und Ziel dürfen nämlich nicht aus dem Auge verloren werden.