Hamburg wählt - also habe ich die Broschüre mit den Musterstimmzetteln zur Hand genommen - und staune! Zwanzig Stimmen, dreizehn Parteien, fast ungezählte Kandidatinnen und Kandidaten, die Kreuzchen verschwimmen schon vor den Augen: Der mündige Bürger hat freie Wahl!

Das Gefühl kommt mir schon bekannt vor: vom Supermarkt. An die hundert Wurstsorten - und im Internet mindestens ebenso viele Ziele für den nächsten Urlaub. Die Ahnung steigt auf: Die Fülle der Möglichkeiten macht eine Entscheidung nicht leichter - und nicht einmal freier! Im Gegenteil: Die Fülle erhöht die "Qual der Wahl", von der schon die Alten wussten.

Hamburg wählt - ob in der Politik, im Supermarkt oder sonst im Leben: Das Zentrum der gelebten Freiheit ist nicht die Fülle der Möglichkeiten, sondern die begründete Entscheidung und die dafür übernommene Verantwortung. Kein Wunder, dass mancher nach dem ersten Blick auf die faszinierenden Wahlmöglichkeiten dann doch lieber die Freiheit abstreifen möchte. Das geht ganz gut, indem man zum Beispiel Entscheidungen ausweicht und sie immer wieder aufschiebt. In letzter Zeit erscheint eine noch radikalere Möglichkeit am Horizont, seine Freiheit loszuwerden. Einige Hirnforscher meinen erwiesen zu haben, dass im Gehirn alles biologisch geregelt ist, also kein Platz mehr bleibt für eine freie Entscheidung. Endlich vorbei mit der Qual der Wahl? - Glücklicherweise ist es so einfach nicht: Denn seine Freiheit zu leugnen wäre wiederum eine freie Entscheidung.

Hamburg wählt: Wir kommen nicht heraus aus unserer Freiheit zu wählen. Und das ist auch nicht schlecht so; denn die Freiheit ist der Kern unserer Person. Auf ihr fußen unser Gewissen, unsere Verantwortung und unsere Gestaltungsmöglichkeiten. Wer (oder besser: was) wären wir ohne sie? Ohne sie wäre alles andere nichts. Die Freiheit ist zwar kein Kinderspiel - trotzdem ist es wunderbar, frei sein zu können und zu dürfen. Hamburg wählt: Ich bin dabei.

PfarrerMies@mariagruen.de