Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall.

Er hatte auf Sex gehofft. Nicht für sich selber, jedenfalls noch nicht. Sondern auf ein Liebesspiel der anderen. Schon eine ganze Weile schlich Ralph F. vor deren Fenster herum - in der Hoffnung, dass das Pärchen, das er dort beobachtete, bald "etwas Interessantes" machen werde, damit es sich lohnt zu fotografieren. Für später, für sich, für zu Hause. Dort hatte er schon ähnliche Bilder liegen, massenhaft.

Ralph F. ist das, was man im Volksmund einen Spanner nennt. Im Strafrecht heißt das "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen". Wegen dieses Vorwurfs muss sich der 58-Jährige jetzt vor dem Amtsgericht verantworten, ein Mann mit wirren grauen Locken, blassem Gesicht und geduckter Haltung. Ein Mann, der sich jetzt im Prozess windet wie ein Aal und peinlich berührt wirkt. Ja, er sei in jener Nacht des 24. Januar vergangenen Jahres dort vor der Wohnung des Pärchens gewesen, räumt der Hamburger ein. Er habe jedoch überhaupt kein Bild gemacht, schiebt er abwehrend hinterher. Er habe einen bekleideten Herrn gesehen, "den fand ich fotografisch nicht so interessant, und die Beine einer Frau". Das habe sich nicht gelohnt, deshalb habe er nicht geknipst. Er habe sich eher etwas "auf sexueller Basis" erhofft.

Doch es kam ganz anders. Statt dass die Frau, die er beobachtete, sich auch noch ihres Schlafanzugs entledigte, bemerkte der Mann in der Wohnung, dass sie beobachtet wurden, sprang aus dem Erdgeschossfenster und nahm die Verfolgung auf. "Aus Reflex" habe er die Kamera in einen Garten in den Schnee geworfen, sagt der Angeklagte, und am nächsten Morgen wieder geholt.

"Warum laufen Sie nachts durch die Stadt und machen solche Aufnahmen?", hakt die Staatsanwältin nach. Es seien "eher Zufälle", die ihn in jener Nacht in die Gegend getrieben haben, wiegelt Ralph F. ab. "Jeder Mensch hat doch eine bestimmte Neugier." Das Vorstrafenregister von Ralph F. sei schon sehr aussagekräftig, kontert die Anklägerin. Darin finden sich mehrere Verurteilungen, unter anderem zwei wegen vergleichbarer Taten.

Dass er mit dem Sprung aus dem Fenster jemanden erwischt hatte, der offenbar schon häufiger nachts mit zweifelhaften Motiven auf der Pirsch war, ahnte Joachim R. nicht. Er habe plötzlich Lichtreflexe wie vom Öffnen und Schließen eines Kameraobjektivs bemerkt, erzählt der 36-Jährige als Zeuge, und sei daraufhin auf Socken hinter dem Störer hinterhergejagt. Als er ihn einholte und zur Rede stellte, habe Ralph F. ihn kumpelhaft um Verständnis gebeten. "Er als Mann" wisse doch, was man mit solchen Fotos macht, habe der Angeklagte gemeint. Und zu Weihnachten hätten sie eine Karte von dem 58-Jährigen bekommen, schildert Joachim R. Das "Fest der Versöhnung" stehe doch bevor, habe Ralph F. an ihre Gutmütigkeit appelliert, sie möchten doch bitte ihre Anzeige zurückziehen.

Es hat nicht funktioniert. Ebenso wenig wie der Versuch des Angeklagten, mit der Behauptung durchzukommen, er habe doch gar kein Foto gemacht. Um dies zu untermauern, legt er die Kamera vor, auf deren Speicherkarte der Richter bei einer Stichprobe "irgendwelche Hundeaufnahmen" entdeckt. Doch eine ausführliche, intensive Überprüfung von Datumsanzeige, weiteren Bildern und ergänzenden Angaben des Angeklagten bringt den Richter zu der Überzeugung, dass Ralph F. die Speicherkarte ausgetauscht haben müsse. Davon ist auch die Staatsanwältin überzeugt. Zudem sei es doch verdächtig, dass der 58-Jährige seinerzeit bei der Flucht die Kamera in den Schnee geworfen habe. "So was macht man nicht, wenn man nichts zu verbergen hat."

Am Ende nützt alles Leugnen nichts. 1200 Euro Geldstrafe verhängt der Amtsrichter, seine Kamera bekommt Ralph F. nicht zurück. Der Mann sei durch die Aussage des Zeugen überführt, mindestens ein Foto geschossen zu haben, betont der Richter. Der etwas schnodderige Versuch von Ralph F., Verständnis "unter Männern" für sein Treiben zu erhaschen, "macht zudem nur Sinn, wenn Sie auch Fotos gemacht haben". Außerdem spreche gegen den Angeklagten, dass bei einer Durchsuchung seiner Wohnung "massenhaft Fotos von Frauen gefunden wurden", bei denen sie heimlich in eindeutigen sexuellen Posen abgelichtet wurden, betont der Richter. "Fotografieren ist ein schönes Hobby, aber was Sie machen, ist schändlich und armselig." Sollte Ralph F. sich nun wieder etwas zuschulden kommen lassen, drohe ihm eine Freiheitsstrafe, warnt der Richter. Es könne auch sein, dass der 58-Jährige riskiere, dass die Opfer die Konfrontation dann "selbst in die Hand nehmen. Und dann kriegen Sie vielleicht schlicht ein paar reingehauen."