Obwohl es wegen des strengen Winters mehr Unfälle gab, verunglückten weniger Menschen auf den Straßen

Hamburg. Joel H. ist erst vier Jahre alt, als er am Hauptbahnhof aus der Hand seiner Mutter gerissen und unter dem tonnenschweren Gewicht eines Renault Laguna begraben wird. Minuten zuvor hatten sie eine Fahrkarte für den Onkel gekauft. Als sie am großen Parkplatz an der Kirchenallee entlangschlendern, passiert es. Ein 73-Jähriger verliert die Kontrolle über seinen Wagen, verwechselt Gas und Bremse. Der Laguna rast über den Parkplatz, durchbricht die steinernen Poller und reißt Joel mit sich. Der Junge stirbt.

Kaum ein Unfall hat die Hamburger mehr bewegt als der Tod des Vierjährigen. Dennoch steht dieser Fall nicht exemplarisch für die Vorgänge auf Hamburgs Straßen. Denn die sind, so jedenfalls belegen es die Zahlen der jüngsten Unfallstatistik, so sicher wie seit Langem nicht mehr. 22 Menschen starben im vergangenen Jahr bei Unfällen im Stadtgebiet, das ist der niedrigste Stand seit Beginn der Unfallstatistik vor 58 Jahren. Ein Jahr zuvor waren es noch 33 Menschen, die ihr Leben verloren. Auch die Zahl aller Verunglückten ist 2010 deutlich zurückgegangen: 9220 Menschen wurden als Radfahrer, Autofahrer oder Fußgänger verletzt oder getötet, 8,5 Prozent weniger als 2009. Und: Trotz des tragischen Unfalls von Joel H. sank die Zahl verunglückter Kinder um 13,4 Prozent.

Die Reaktionen aus der Innenbehörde sind entsprechend positiv: Hamburg befinde sich auf einem richtigen Weg, sagte Innensenator Heino Vahldieck (CDU). "Die Kombination aus konsequenter Verkehrsüberwachung und einer umfangreichen Präventionsarbeit für bestimmte Zielgruppen, vor allem für Kinder, hat sich bewährt."

Allerdings: Trotz aller positiver Zahlen stieg die Gesamtzahl aller Verkehrsunfälle geringfügig an. Genau 64 375 Verkehrsunfälle registrierte die Polizei vergangenes Jahr, 1,3 Prozent mehr als 2009. Vahldieck begründet diesen Anstieg mit dem harten Winter: Das Plus sei wesentlich auf "leichtere Sachschadensunfälle" zurückzuführen. Auf den eisglatten Straßen hätten sich zwar mehr Verkehrsunfälle ereignet, diese seien jedoch glimpflich verlaufen, da die Autofahrer langsam fuhren.

Ebenso positiv: Die Zahl der Unfälle mit Fußgängern sank um 12,7 Prozent auf etwa 1300 Fälle. Registriert wurden auch deutlich weniger Unfälle mit Radfahrern: Die Polizei zählte 2657 Unfälle, ein Minus von 17,2 Prozent. Ebenso deutlich ist der Rückgang von Zusammenstößen und anderen Unglücken mit "motorisierten Zweirädern" - minus 12,4 Prozent auf 1382 Unfälle.

Eine Entwicklung, die ebenfalls dem Wetter geschuldet sei, betont Martina Koeppen, verkehrspolitische Sprecherin der SPD: Die Rückgänge bei Rad- und Zweiradfahrern ergäben sich "zwangsläufig" aus den nicht geräumten Radwegen und vereisten Straßen des letzten Winters. "Es ist sehr erfreulich, dass die Zahl der Unfalltoten und der verunglückten Menschen rückläufig ist. Angesichts dieser positiven Zahlen ist es besonders tragisch, dass letztes Jahr ein Kind sterben musste."

Mit Sorge schaut Koeppen zudem auf die Zahl der Verkehrsunfälle bei jungen Erwachsenen und Senioren. So waren über 65-Jährige an vier Prozent mehr Unfällen beteiligt, verletzt oder getötet wurden jedoch 13,5 Prozent weniger Senioren. Gleiches Bild bei den 18- bis 24-Jährigen: Sie waren in 700 Fällen mehr an Unfällen beteiligt (insgesamt 11 820), die Zahl der Verunglückten sank aber von 1446 auf 1282. Hauptursachen von Unfällen sind überhöhte Geschwindigkeit und zu geringer Sicherheitsabstand.