In der Woche vor der Wahl entwerfen fünf Hamburger Persönlichkeiten im Abendblatt ihre Vision für die Zukunft der Stadt. Teil 4: Reinhold Beckmann

Es ist eigentlich immer der richtige Zeitpunkt, gemeinsam über die Zukunft junger Menschen in Hamburg nachzudenken. Darüber, wie wir ihnen Mut machen können, sich Ziele zu setzen, ihre Talente mit Selbstvertrauen zu entwickeln. Ob und wie das gelingen wird, hängt nicht nur von der jungen Generation ab. Es ist Teil unser aller Verantwortung und unseres notwendigen gesellschaftlichen Engagements. Gemeint sind damit wir Bürger, aber vor allem die Politiker der Hansestadt, die sich jetzt zur Wahl stellen.

Armut ist nicht mehr länger das eigen verschuldete Problem des Einzelnen, sondern sie betrifft eine ganze Bevölkerungsschicht. Wer heute aus sozialen Gründen vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen ist, kann seinen Kindern oft kaum Angebote machen, aus diesem Kreislauf auszubrechen. Armut wird vererbt. Doch gerade Jugendliche warten auf Antworten und suchen nach ihrer Chance auf Perspektive.

Die nüchternen Zahlen zeigen: Ein Viertel aller Kinder in Hamburg lebt von staatlichen Transferleistungen. In Wilhelmsburg, Billstedt und auf der Veddel ist es sogar fast jedes zweite. Wer hier zu Hause ist, muss sich isoliert und abgehängt fühlen: Freizeiteinrichtungen schließen, Jugendprojekte werden nicht mehr finanziert und Schulen sind oft überfordert, die Probleme aufzufangen, die in der Vergangenheit in der Familie gelöst werden konnten. Materielle Armut führt zu Perspektivlosigkeit, Resignation und in die soziale Isolation. Können wir uns leisten, all diese Jugendlichen aus der Mitte unserer Gesellschaft zu verlieren? Sicher nicht! Politik muss dies klar erkennen und entschieden handeln.

Bereits jetzt beobachten wir, dass traditionelle Normen und Werte von vielen nicht mehr gelernt oder akzeptiert werden. Jugendliche fühlen sich allein gelassen und reagieren aggressiv auf eine Gesellschaft, die sie nicht verstehen und von der sie sich nicht verstanden fühlen.

Das Kinderhilfswerk Unicef kommt zu dem Schluss, dass Teile von Hamburg ein Brennpunkt der Kinderarmut sind. Dabei wissen wir längst: Kinder und Jugendliche brauchen Aufmerksamkeit und Anerkennung in der sich stetig ändernden Welt. Wie sie in der Schule gefördert werden und wie sie ihre Freizeit erleben, entscheidet wesentlich darüber, welche Aufstiegschancen sie später haben werden. Dies gilt insbesondere für Jugendliche mit Migrationshintergrund.

Die, die schon jetzt in der Armutsspirale gefangen sind, haben kaum Selbstvertrauen, haben wenig Perspektive, meist auch keine gute Schulbildung. Ihnen sind Werte wie Disziplin, soziales Miteinander und Respekt abhanden gekommen. In benachteiligten Familien beobachtet man häufig einen Mangel an Wertschätzung und Wärme, auch Konversation findet selten statt.

Seit über zwölf Jahren machen wir mit unseren Jugendlichen bei NestWerk e. V. diese Erfahrungen. Wir arbeiten mit ihnen und geben ihnen die Möglichkeit, kostenlos und selbstbestimmt Sport zu treiben. Wir öffnen Sporthallen am Abend und an den Wochenenden. Bei Fußball, Basketball, Volleyball, Badminton und vielem mehr können die Kinder und Jugendlichen spielend lernen, wie man Konflikte verbal lösen kann.

Gemeinsam erfahren Jugendliche Respekt, Fairness und Solidarität. Sich sportlich zu messen, seine Grenzen zu erfahren, sich Ziele zu setzen und in einem Team aufgehoben zu sein, dazu brauchen wir vor allem in den sozialen Brennpunkten noch mehr Sport- und Freizeiteinrichtungen, die am Wochenende und auch am Abend zur Verfügung stehen. Über 500 Jugendliche nutzen regelmäßig unsere drei Sporthallen, und seit 1999 haben wir unsere Hallen über 16 600 Stunden kontinuierlich und verlässlich öffnen können.

Gemeinsam mit vielen anderen Initiativen und Trägern engagieren wir uns: nicht nur mit Sportangeboten, sondern auch mit Musikprojekten wie dem "Jamliner", in dem Jugendliche ihre Ideen musikalisch verwirklichen können. Die derzeitige Lage in den benachteiligten Stadtteilen erfordert weiterhin hohe Aufmerksamkeit und die notwendigen finanziellen Mittel. Die in der Geschichte der Stadt einmalige Aktion der sieben Hamburger Bezirksamtleiter und ihr gemeinsamer Hilferuf unterstreicht dies eindrucksvoll.

Nach den Wahlen darf die Politik deswegen das Thema Jugendarmut nicht aus den Augen verlieren. Es gilt, sich verstärkt zu engagieren. Dies ist nicht umsonst zu haben. Wir stehen zu unserem gesellschaftlichen Engagement, brauchen aber die Politik als starke Partner.