Die siebenjährige Vera ist in Leo verliebt - und schreibt es ihm. Nicht alle Mitschüler sind so offen. Anderen ist die Zuneigung peinlich.

Altona. Wenn Vera über Leo spricht, neigt sie den Kopf ein wenig, spielt mit einem bunten Haargummi an ihren schwarzen Zöpfchen und lächelt versonnen den Boden an. "Ich bin eben verliebt", sagt die Siebenjährige ganz ohne Umschweife.

Vera kennt Leo schon seit dem Kindergarten. Gern erinnert sie sich an gemeinsame Springseilwettbewerbe. Sie und Leo haben immer viel Spaß miteinander, aber bis heute hat Vera sich nicht getraut, Leo von ihren Gefühlen zu erzählen. Vera weiß ganz genau, wie sich das anfühlt, wenn man so richtig verliebt ist: "Dann kommen einem ganz viele kleine Herzchen aus den Augen raus", sagt sie mehr mit Händen als mit Worten. Vera besucht die erste Klasse der katholischen Schule in Altona, Leo die zweite. Die meisten ihrer Mitschüler finden Mädchen "doof", aber einige der Mädchen sind sich ganz sicher, verliebt zu sein.

Woher diese Unterschiede kommen und wann es für Kinder "normal" ist, sich für das andere Geschlecht zu interessieren, erklärt Silke Lyder vom "Netzwerk Kindertherapie" in Hamburg: "Zuneigung entwickeln wir schon im Kindergarten, es ist nur die Frage, wie man das benennt und bewertet", so die Diplom-Psychologin. "Kinder ahmen spielerisch nach, was sie bei den Erwachsenen sehen." Für Vera fühlt sich das alles jedenfalls ziemlich echt an. Silke Lyder: "Kinder haben durchaus richtige romantische Gefühle, auch eine Blutsbrüderschaft kann innig romantisch sein."

Vera hat Leo einen Liebesbrief geschrieben. Zwischen bunten Herzchen, Sternen und Schmetterlingen steht da der Satz: "Ich liebe dich von ganzem Herzen." Viele der anderen Erstklässler wissen weniger mit dem Thema Liebesbriefe anzufangen. Einige verbinden das Wort Liebe mit "lieb haben" - und schreiben an ihre Eltern. Andere werden verlegen und finden, Liebesbriefe sind "irgendwie peinlich".

Jorgo zum Beispiel ist von der Idee, einen Liebesbrief zu bekommen, begeistert - solange er nicht von einem Mädchen kommt. Also malt Jorgo auf seinen Brief ein blaues Rennauto und schenkt das Ganze seinem besten Freund Romeo. Als seine Sitznachbarin Djamila das hört, radiert siekurzerhand Jorgos Namen aus ihrem Valentinstags-Brief, den sie - wie alle in ihrer Klasse - als "Schreibübung" im Unterricht verfassen sollte.

"Wenn Liebe Kindern peinlich ist, dann ist diese Scham genauso abgeschaut wie das Verliebtsein", sagt die Psychologin.

Ein wenig kann man an dem Verhalten der Kinder also ablesen, wie zärtlich oder prüde es zu Hause zugeht. Während einige Eltern offen mit körperlicher Zuneigung umgehen, halten andere ihren Sprösslingen schon die Augen zu, wenn sich Paare im Fernsehen küssen. Diese Bewertungen übernehmen die Kinder. Der Leiter einer Grundschule in England hat die Vorstellung, es sei ungesund, zu früh mit dem Thema Liebe in Kontakt zu kommen, besonders streng ausgelegt: Er hat seinen Schülern sogar verboten, Liebeskarten zum Valentinstag zu verschenken. Mit solchen Gedanken solle gewartet werden, "bis die Kinder emotional und sozial reif sind".

Kinderpsychologin Lyder kann das schwer nachvollziehen, zumal der von vielen Erwachsenen als "Gefahr" empfundene erotische Aspekt in der kindlichen Liebe noch gar keine Rolle spiele. An Liebesbriefen kann die Expertin jedenfalls nichts Schlimmes finden.

Nachher in der Pause will Vera ihren Brief übergeben. Sie hofft, dass Leo sich freut, auch wenn er manchmal vor seinen Freunden "doof" zu ihr ist. Aber einmal hat er sie auf die Backe geküsst. Vera: "Das hat sich einfach nur schön angefühlt."