Ein grandioser Redner, eine bewegende Rede: In der St.-Jacobi-Kirche sprach Joachim Gauck über seine Vorstellung von Bürgersinn - und Glück.

Altstadt. Eine Rede in Hamburg ist für den Rostocker Joachim Gauck inzwischen ein Heimspiel: Zum dritten Mal in nur zwei Monaten schaute der Ex-Bundespräsidentschaftskandidat und Bürgerrechtler gestern in der Hansestadt vorbei. Vor der imposanten Kulisse einer voll besetzten St.-Jacobi-Kirche sprach er auf Einladung des Übersee-Clubs über seine Lieblingsthemen: "Freiheit, Verantwortung, Gemeinsinn". Und hatte mit einem kessen Spruch die Lacher gleich auf seiner Seite. "Sie haben dem Wetter getrotzt und sind in die Kirche gekommen", wandte sich der 71-Jährige an die Zuhörer. "Allzu oft sind Sie sonst ja nicht hier."

Es ist ein Erlebnis, Joachim Gauck zu sehen und zu hören. So elegant wie humorvoll, so gefühlvoll wie durchdacht bringt er seine Vorstellung vom aufrechten, dem Gemeinwohl verpflichteten Bürger auf den Punkt. Von diesem Ideal sei die Realität weit entfernt: Blickt Gauck in die deutsche Seele, blickt er in einen Schmelztiegel des Verdrusses, Nörgelns und Schwarzsehens - "die Deutschen fühlen sich erst wohl, wenn sie sich unwohl fühlen". Doch was ist für Gauck Glück? Ausschließliche Selbstverwirklichung jedenfalls nicht, aus ihr erwachse ein Mangel an "Bezogenheit auf andere und auf Werte". Auch der Wunsch, im Schlaraffenland zu leben, sei Ausdruck eines egoistischen Prinzips, das nicht zur Entfaltung, sondern zur Beschränkung des Einzelnen beitrage. "Nur Konsum und kein Bürgersinn mehr - das ist die Form, die mir so missfällt", sagte er.

Vielmehr werde glücklich, wer sein Leben "in Bezug" setzen könne zu jemand oder einer Sache, wer für etwas eintrete. Gauck sprach von der "Lebensform der Verantwortung" als einer Fähigkeit, die jedem Menschen innewohne. "Die Freiheit der Erwachsenen heißt Verantwortung, Sie kann sich in persönlichen Beziehungen zeigen, aber auch im Eintreten für Werte", sagte er. Diese Freiheit hatte sich Gauck in der ehemaligen DDR genommen. Jahrelang kämpfte er als Bürgerrechtler gegen das Regime. Als er am 18. März 1990 bei der letzten Volkskammerwahl erstmals frei wählte, seien ihm "die Tränen über die Wangen" gelaufen. Seitdem habe er nie eine Wahl versäumt.

Donnernder Applaus und Standing Ovations nach der einstündigen Rede. Einige waren zu Tränen gerührt - er sprach ihnen wohl aus dem Herzen.