In der Woche vor der Wahl entwerfen fünf Hamburger Persönlichkeiten im Abendblatt ihre Vision für die Zukunft der Stadt. Teil 3: Dieter Lenzen

Ich möchte nicht von Visionen, sondern von Wünschen sprechen. Sie beruhen auf einem Jahr Erfahrung mit einer wunderbaren Stadt, sympathischen Menschen und einem Wissenschaftssystem voller Potenziale.

1. Ausreichende Hochschulbudgets: Zurzeit weist Hamburg das niedrigste Wissenschaftsbudget in Bezug auf den Landeshaushalt von allen Bundesländern aus, und die Forschungsinvestitionen aus privater Hand sind gleichfalls die niedrigsten. Das bedeutet: Die Hochschulen benötigen eine verlässliche Wachstumsperspektive ihrer Haushalte von plus 70 Millionen Euro jährlich. Jede Kürzung wäre absurd und ein weiterer Beitrag dazu, dass es unmöglich ist, in nennenswerter Zahl internationale Spitzenwissenschaftler zu berufen oder auch nur solche Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer zum Bleiben zu bewegen, die ein anderes Angebot von draußen haben.

2. Bauliche Erneuerung: Die Hochschulen haben in unterschiedlicher Ausprägung, allen voran die Universität, einen immensen Erneuerungsbedarf. Nach der Entscheidung, die Universität in der Stadt zu belassen und damit gleichzeitig erhebliche Kosten einzusparen, die ein völliger Neubau aufgeworfen hätte, brauchen die Hochschulen nunmehr eine bauliche Aufbauperspektive über einen Zeitraum von zehn bis 20 Jahren, die eine runde Milliarde kosten dürfte. Wie ernst eine Stadt ihre Anliegen nimmt, spiegelt sich auch darin, wie sie baut. Wenn es gelingt, international renommierte Architekten für die Neugestaltung des Uni-Campus zu gewinnen, dann wird eine gelungene Ästhetik ihre eigene Anziehungskraft entfalten.

3. Mehr Internationalisierung: Hier sind die Hochschulen selbst gefragt. Wenn sie auch in 15 Jahren noch attraktiv sein wollen, müssen sie sich schleunigst weiter öffnen für internationale Studierende, Lehrende und den Wind der Weltläufigkeit. Er wird umso heftiger wehen, indem es der Wissenschaft gelingt - in engster Gemeinsamkeit mit der Kultur der Stadt, den Theatern, Museen, der Musik -, nicht nur ein wissenschaftliches, sondern ein im weiteren Sinne intellektuelles Bein zu bauen.

4. Mehr Bildungsbeteiligung: Schon aufgrund der demografischen Entwicklung, aber auch aus Gründen der Bildungsgerechtigkeit, muss es in den nächsten Jahren gelingen, junge Menschen aus bildungsfernen Familien und aus solchen mit Migrationshintergrund in größerer Zahl für die Hochschulen zu interessieren. Hamburg verfügt als Groß- und Hafenstadt über ein reichhaltiges Potenzial an begabten jungen Menschen aus Familien, für die ein akademisches Studium noch etwas Ungewöhnliches ist. Ungewöhnlich scheint ein Studium in Hamburg allerdings auch für manche Mittelschicht-Familie zu sein, die zu Unrecht befürchtet, ein Hamburger Abschluss sei im Wettbewerb minderwertig. Die für die Wissenschaft Verantwortlichen in der Stadt werden dafür sorgen, dass in Hamburg zu studieren nicht nur für 70 000 externe Bewerber und Bewerberinnen erstrebenswert ist.

5. Mehr Autonomie: Hier gibt es einen erheblichen Nachholbedarf in der Stadt. Die Hochschulen müssen selbst darüber entscheiden können, wie viele Studienplätze sie anbieten, wie vielen Menschen die Möglichkeit gegeben wird, neben dem Bachelor- auch ein Masterstudium zu absolvieren, welches die tariflich adäquate Einstufung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist, für welche Forschungsgegenstände sie finanzielle Mittel bereitstellen wollen, wie sie ihre Entscheidungsprozesse organisieren und was sie bauen, kaufen oder mieten.

6. Schluss mit der Überregulierung: Aus Sicht der Wissenschaft ist das Gemeinwesen völlig überreguliert. Es scheint kaum eine preußischere Stadt zu geben als Hamburg, wenn man die Flut von Gesetzen, Verordnungen, Satzungen und Richtlinien betrachtet. Wissenschaft kann ebenso wie Kultur nur in einem Geiste der Freiheit gedeihen. Sie ist nur erfolgreich, wenn sie nur minimalen Regelungen unterworfen ist, wenn jener Geist der Kreativität, der wehen möchte, wo er will, nicht am Beton der Bürokratie zerschmettert. Wer erfolgreiche Wissenschaftssysteme anderer Bundesländer oder auch Nationen kennt, weiß, wovon die Rede ist. Die Wissenschaftler sind gern bereit, dieses Vertrauen zu rechtfertigen durch ihre Arbeit, wenn die Bedingungen dieser Arbeit adäquat sind. Unter solchen Bedingungen wechselseitigen Vertrauens ist Erfolg unvermeidlich.