Eine Glosse von Tom R. Schulz

Was mag wohl das Motto gewesen sein? Die Mauer muss weg? Facelook statt Facebook? Jedenfalls muss die Leute, die kürzlich den Liveklub Gruenspan renovierten, eine wilde Offenbarungslust erfasst haben, als sie die Neugestaltung des Toilettenbereichs in Angriff nahmen. Sieht alles sehr nobel aus jetzt - ochsenblutrote Wandfarbe, Doppelwaschbecken. Sogar frische Blumen gibt's jetzt auf dem Örtchen, das in Klubs sonst regelmäßig alle Verwarzungsrekorde bricht.

Die Vase steht auf einem Durchbruch der Wand, die früher Damen- von Herrentoiletten trennte. Früher. Jetzt klafft da ein schön verputztes Loch, das breiten Durchblick zu den Nachbarn gestattet. Seit' an Seit' ziehen Gruenspan-Besucher beiderlei Geschlechts nun vor den Spiegeln Lippenstift respektive Kajal nach.

Kein Zweifel: Hier entstand eine Bühne für die Éducation sentimentale der Zukunft. Bislang hielt Mauerwerk das Geschnatter der Mädels beim Schminken gnädig fern. Nun sollen Kerle die Zickenkriege von nebenan hautnah miterleben. Der letzte Rückzugsort im Treibhaus der Hormone - zersiebt von Anbahnungsarchitektur.

Eins der Pissoirs liegt voll in der Blickachse und bietet Hartgesottenen noch beim Wasserlassen Gelegenheit zu zwanglosem Flirt mit den Schönen im Spieglein an der Nachbarwand. Männer, die an solchen Orten nicht mal unter ihresgleichen können, werden bestimmt bald einen antifeministischen Schutzwall errichten.