Im Prozess um den Raubmord an einem Kioskbesitzer knöpft sich der Angehörige des Opfers den Angeklagten vor. Das Gericht lässt ihn gewähren

Neustadt. Fürsorglich legt ein Zeugenbeistand dem jungen Mann eine Hand auf den Rücken. Es hilft nichts: Der Schmerz sitzt zu tief, zu lange gärten Wut und Hass in ihm. Nun aber sieht Aamun K. (Name geändert) im Gerichtssaal den Mörder seines Vaters. Der 27-Jährige will keine Entschuldigung von ihm, er will nicht hören, wie es zu der grausigen Bluttat kam. Und er will ihn nicht verstehen, aber sicherstellen, dass er verstanden wird. Deshalb schreit er ihn an, diesen Mann, der seinem Blick permanent ausweicht. Das Gericht lässt Aamun K. gewähren.

Aamun K. hat seinen Vater am 17. September tot im Keller des Kiosks an der Langenhorner Chaussee gefunden. Als Zeuge sitzt er vergangenen Freitag frontal vor dem Richter, links neben ihm im Hochsicherheitssaal der Mörder seines Vaters. Scheinbar hochkonzentriert macht sich Florian S. Notizen in einem Block. Wie er da sitzt - wie am ersten Prozesstag, akkurat gestylt, im feinen, hellgrauen Dreiteiler -, sieht der 38-Jährige aus wie sein eigener Anwalt. Er blickt erst auf, als ihn Aamun K. dazu zwingt.

"Guck mir in die Augen, du Feigling. Du hast nicht nur meine Familie zerstört, sondern auch deine eigene", brüllt der Sohn des Getöteten. "Wieso hast du meinen Vater nicht gefesselt, dir das Geld genommen und bist abgehauen. Warum bringt man jemand für ein paar Euro und Zigaretten um?" Sein Vater, sagt er mit bebender Stimme, sei sein bester Freund gewesen.

Florian S. versucht es mit einer Entschuldigung. "Es tut mir von Herzen leid, ohne diese verfluchten Drogen wäre es nie so weit gekommen." Das macht es nur noch schlimmer, Aamun K. redet sich in Rage. "Das waren nicht die Drogen, das hast du bewusst gemacht", schreit er. "Du gehörst nicht in diese Gesellschaft." Doch der Angeklagte blickt nur starr nach unten.

Die Staatsanwaltschaft hat Florian S. für einen brutalen Raubmord aus Habgier angeklagt. Schon vor zwei Wochen hat der 38-Jährige gestanden, wie er den Kioskbesitzer Shams K., 54, im Drogenrausch tötete. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe, das Gericht erörtert aber auch eine Unterbringung in der Psychiatrie.

Florian S. brauchte damals Geld, um seine Drogensucht zu finanzieren. Nach eigenen Angaben hat er sich den Kiosk unweit der elterlichen Wohnung gezielt ausgeguckt. Shams K. kennt er vom Sehen. Als er am frühen Morgen des 17. September den Kiosk betritt, schlägt er dem 54-Jährigen mit einem Hammer auf den Kopf, zwölfmal laut Anklage. Dann zerrt er ihn in den Keller, fesselt ihn mit Kabelbindern auf einem Stuhl und zieht ihm eine Plastiktüte über den Kopf. Die schließt er mit einem Klebeband luftdicht ab. Während sein Opfer im Keller erstickt, geht er hoch in den Laden und bedient Kunden. Als das Telefon klingelt, nimmt er ab. Am Apparat: die Frau von Shams K. Mit dem Fremden kann sie nichts anfangen. "Ich kenne Ihren Mann", sagt er. Sie solle in fünf Minuten noch mal anrufen - Shams K. sei gerade einkaufen.

Kurz darauf alarmiert ein Stammkunde die Familie, der Verkäufer mit den blutbesudelten Händen ist ihm nicht geheuer. Um 9.40 Uhr will Aamun nach seinem Vater sehen. Er geht gleich runter in den Keller, sieht einen Mensch mit einer Tüte über dem Kopf. Seinen Vater erkennt er nur an der roten Jacke. Er hebt ihn an: "Komm, Papa, wir gehen." Doch Shams K. ist schon tot und der Täter flüchtig - mit 700 Euro und ein paar Schachteln Zigaretten.

Kurz nach der Tat trifft Florian S. in Langenhorn auf eine frühere Schulkameradin. "Gar nicht mal doof" sei er gewesen, ein zurückhaltender Typ, sagt die Zeugin. Aber auch einer, der schon als Schüler auf harten Drogen war und daraus nie einen Hehl machte. An seinem Hals fällt ihr eine "große Wunde" auf. "Das war ein Kratzgelage", sagt Florian S. Und erzählt, dass seine Frau gerade mit der Tochter "abgehauen" ist.

Seine Frau hat Florian S. im Entzug kennengelernt. Sie, eine studierte Therapeutin, grundsolide. Er, ein kleinkrimineller Junkie mit niedriger Schulbildung. 2006 heiratet das ungleiche Paar, kauft ein Haus, bekommt ein Kind. Doch im Sommer 2010 wird der 38-Jährige rückfällig. Die Ehe zerbricht.

Auch seine Frau sagt am Freitag aus. Auf Antrag, weil ihr persönlicher Lebensbereich geschützt werden soll, aber hinter verschlossenen Türen. Die zierliche, blonde Frau geht auf Florian S. zu, sie schüttelt ihm zaghaft die Hand. Der Angeklagte, der noch seinen Ehering trägt, blickt die Ärztin versonnen an - und einem Traum hinterher. Die Realität, das weiß er, ist grausamer.