Prof. Dr. Claudia Kemfert, 42, leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance.

1. Hamburger Abendblatt: Die EU will Milliarden Euro in neue Stromnetze investieren lassen, um den Ausbau regenerativer Energien voranzubringen. Wird damit der Strom noch teurer?

Claudia Kemfert:Es ist unbestritten, dass wir dafür diese neuen Stromnetze benötigen. Verschiedene Studien haben ausgerechnet, dass das Investitionen in einer Größenordnung von bis zu 25 Milliarden Euro erfordert. Auf einen Zeitraum von 20 bis 25 Jahren gerechnet, heißt das etwa eine Milliarde pro Jahr. Das ist machbar - auch für die Stromkonzerne. Beim Strompreis wird man also keine enormen Steigerungen sehen. Denn das entspricht etwa bis zu 0,3 Cent pro Kilowattstunde. Zuletzt hat sich die Umlage zur Förderung erneuerbarer Energie von 2,7 auf 3,5 Cent pro Kilowattstunde erhöht. Andererseits führt mehr Angebot und mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt in Europa zu sinkenden Preisen an der Strombörse.

2. Kann sich der Verbraucher künftig zum Beispiel aus Spanien Ökostrom einkaufen?

Kemfert: Das kann er heute schon. Beim Binnenmarkt muss es darum gehen, dass jeder Bürger in Europa seinen Strom da kauft, wo er am günstigsten ist oder wo seine Vorstellungen von der Art, wie der Strom erzeugt wurde, erfüllt sind. Ich halte aber den Zeitpunkt, den sich die EU mit 2014 vorgenommen hat, für sehr ambitioniert. Das setzt den schnellen Netzausbau voraus.

3. Wird die EU mit dem Ausbau der Stromnetze unabhängiger von russischem Öl und Gas?

Kemfert: Das hat sich die EU zumindest vorgenommen. Grundsätzlich gilt jedoch: Je mehr erneuerbare Energien man in Europa hat, je besser man mit diesen Energien haushaltet, desto weniger muss man importieren.

4. Welche Realisierungschancen hat das Solarstrom-Projekt Desertec vor dem Hintergrund der Unruhen in Nordafrika?

Kemfert: Desertec ist ein Generationenprojekt, umfasst lange Zeiträume. Somit ist Desertec erst einmal nicht gefährdet. Außerdem geht es einerseits zunächst um Regionen, die von den aktuellen Konflikten nicht tangiert sind. Zum anderen sichern Projekte wie Desertec die Energieversorgung und den Wohlstand in den afrikanischen Ursprungsländern. Das schafft auch Stabilität. Erst dann wird man auch Strom nach Europa bringen können.

5. In Deutschland sperren sich Umweltschützer gegen die Stromautobahnen. Wie lässt sich dieser Konflikt lösen?

Kemfert: Sicherlich müssen die Sorgen der Anwohner ernst genommen werden, allerdings dürfen die wichtigen Stromnetzprojekte nicht mehr verzögert werden. Beispielsweise können in manchen Regionen Erdkabel eine Lösung sein, die oftmals weniger Proteste auslösen als Hochspannungskabel.