Schüler haben Stress pur und leiden unter den Reform-Schnellschüssen

Neunte Stunde, 16 Uhr. Die Köpfe rauchen, im Magen grummelt es leise. Gerade fragt der Lehrer: "Was bedeutet: Sit tibi fausta nox?" Die Schüler stöhnen. Denken kann man nach einem langen Schultag um diese Uhrzeit sowieso nicht mehr. Das war nicht immer so!

Viele Erwachsene meinen, Jugendliche hätten so viel Freizeit. Wir haben ja sehr viele Ferien und nur fünf Tage in der Woche Schule. Aber dazu kommen dann noch die Hausaufgaben und das Lernen für Arbeiten, Tests, Vokabeltests, Grammatiktests, das Thema des Monats in Mathe, und die kleinen Referate darf man nicht vergessen - mindestens drei DIN-A4-Seiten.

Die Arbeiten werden auch meistens in der gleichen Zeit geschrieben, direkt vor den jeweiligen Ferien. Wie vor den Herbstferien, da wollen alle Lehrer in den Hauptfächern eine Arbeit schreiben. So kommt es vor, dass wir vier Arbeiten und dazu noch Teste in einer Woche schreiben.

Diese hohe Belastung für uns, dass wir das alles in so kurzer Zeit schaffen müssen, kam erst 1998 mit der neuen G8-Regelung in Hamburg auf. Dabei wurde die Schulzeit auf dem Gymnasium von neun auf acht Jahre verkürzt. Folgen, auch von der schnellen Umsetzung, sind zweimal in der Woche Nachmittagsunterricht mit Hauptfächern in der achten, neunten oder auch zehnten Stunde. Als wären die Schüler nicht schon genug beschäftigt, kommen noch zahlreiche Frühstunden hinzu.

Wir könnten auch positiv denken. Schließlich wurde uns so die Schulzeit gekürzt, nicht aber der Schulstoff. Aber wird nicht gesagt, die Menschen werden immer älter? Wahrscheinlich lautet das Motto: "Die Kindheit wird immer kürzer."

Das Projekt G8 wurde umgesetzt, um die Chancengleichheit von Deutschland mit dem Ausland wieder herzustellen. Wir Deutsche waren angeblich wegen unserer langen Ausbildungszeit benachteiligt.

Doch das Projekt wurde so schnell gestartet, dass die meisten Gymnasien nachbessern mussten und erst neue Räumlichkeiten für die Mittagspausen schaffen mussten.

Dann drohte das nächste Schulgesetz, um wieder Bedingungen für alle Schüler vermeintlich zu verbessern: die Schulreform. Ab sofort sollten alle Kinder bis zur sechstem Klasse zusammen auf die Primarschule gehen. Nun sollten die Grundschulen ihre Gebäude auch noch erweitern und die neuen Räume der weiterführenden Schulen sollten leer stehen. Um ihre Gymnasien zu erhalten, kämpften viele Bürger und Eltern in einem Volksentscheid gegen die Schulreform. Und sie gewannen.

Zum Glück, denn wir haben genügend andere Probleme: So gibt es in Deutschland immer mehr Gymnasiasten, während die Realschüler weniger werden. Viele Realschüler haben Angst, keine Ausbildungsplätze zu bekommen. Deswegen wählen sie den schwereren Weg über das Gymnasium. Die Folge: Es gibt ein Überfluss an Studierenden und einen Mangel an gut ausgebildeten Lehrlingen. Darüber klagt die Wirtschaft.

Alles in allem ist die deutsche Schulpolitik ein Desaster. Jedes Bundesland hat sein eigenes Schulsystem und jeder neue Schulpolitiker baut sich sein eigenes Häuschen: Jeder versucht, die Schule zu erstellen, die er wünscht. Die einzige Frage ist nur, ob sich auch die Schüler immer in dem gebauten Haus wohlfühlen.

Aber das scheint ja wenige zu interessieren.