Dr. Achim Wüsthof, 44, auf Hormonstörungen spezialisierter Kinder- und Jugendarzt, praktiziert im Endokrinologikum Hamburg.

1. Hamburger Abendblatt:

Das Model-Trugbild von perfekter Schönheit gilt vielen Jugendlichen als Vorbild. Verführt das zu übereilten Schönheitsoperationen?

Dr. Achim Wüsthof:

Viele junge Menschen möchten einem durch die Medien verbreiteten Schönheitsideal entsprechen. Einen gewissen Gruppenzwang hat es immer gegeben, doch scheint der Druck größer zu werden. Das fängt bei der totalen Intimrasur an, auch bei Jungen, und geht über die Korrektur der Schamlippen bis zur Brustvergrößerung. Aus meiner Sicht sollten sich Operationen bei Jugendlichen auf Ausnahmen beschränken, wenn etwa auf einer Seite eine voll entwickelte Brust vorhanden ist und auf der anderen eine Anlagestörung besteht.

2. Sind Jugendliche heute überkritisch, was ihr Aussehen angeht?

Wüsthof:

Zu mir in die Praxis kommen oft Jugendliche, die einen großen Leidensdruck wegen ihres Aussehens haben, weil sie sich zu klein, zu groß, zu dick, zu dünn fühlen; einige sind mit ihren Brüsten oder der Penisgröße unzufrieden, manche Jungen quält ein kleiner Busen, der in der Pubertät häufig auftritt. Sie erhoffen sich von mir als Hormonspezialist Abhilfe durch Medikamente. Eine Behandlung kann gelegentlich erforderlich sein, doch meist gilt es, sie von ihrer Normalität zu überzeugen.

3. Werden Jugendliche häufiger als früher wegen körperlicher Makel gehänselt?

Wüsthof:

Hänseleien sind bestimmt kein neues Phänomen, doch vielleicht lassen sich Jugendliche heute noch leichter verunsichern als früher. Oft lernen die Menschen nicht, Makel zu akzeptieren und damit zu leben. Es gibt eine "Reparatur-Mentalität": Fachleute sollen alle Probleme beheben.

4. Ist die Hemmschwelle, sich aus ästhetischen Gründen operieren zu lassen, gesunken?

Wüsthof:

Mehr Menschen wollen sich mithilfe des Skalpells verschönern lassen. Es besteht heute ein wesentlich offenerer Umgang mit Operationen aus ästhetischen Gründen. Es handelt sich längst nicht mehr um ein sehr tabuisiertes Thema. Viele haben keine Hemmungen mehr, darüber in der Familie oder bei Arbeitskollegen zu sprechen.

5. Müsste einem Menschen, der unter seinem Aussehen leidet, nicht besser psychologisch geholfen werden?

Wüsthof:

Als Arzt muss ich das Anliegen meiner Patienten sehr ernst nehmen und die Sorgen niemals leichtfertig abtun, weil sie nicht selten einen erheblichen Leidensdruck haben. Doch allein die sorgfältige medizinische Beurteilung des Körpers kann vielen schon sehr helfen; und ein anschließend ausführliches Gespräch mit einem Jugendlichen kann dazu beitragen, seine Verunsicherung zu verringern.