Bernd Lohse, Pilgerpastor an der Hauptkirche St. Jacobi

Wenn der Druck am größten ist und du überhaupt keine Zeit mehr hast, dann mach mal Pause. Oder mit dem dänischen Theologen und Philosophen Sören Kierkegaard gesagt: Wenn nichts mehr geht, dann mach einen Spaziergang. Verrückt, naiv oder wahr? Haben wir noch Verständnis für solche Ratschläge?

Ich fürchte, unserer Gesellschaft fehlt eine Kultur der Weisheit. Ebenso wie eine Kultur des Schweigens. Beides sind Schätze einer tiefen Religiosität. Allerdings ohne jeden unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen. Stattdessen wimmelt es in unserem Alltag oft von Oberflächlichkeit, kurzsichtigen Konkurrenzen und viel heimlicher und versteckter Überlastung. Wir stehen permanent unter Druck und geben ihm bereitwillig nach, indem wir ihn noch erhöhen: Sportler reagieren auf Leistungsdruck mit Doping; junge Menschen auf den Druck der Spaßgesellschaft mit Party-Drogen. Politiker reagieren auf den Druck akuter Krisen, Skandale und Wahlkämpfe mit schnellen Konzepten und Plänen. Und Unternehmen verlagern den Druck, unter dem sie wirtschaftlich stehen, auf Mitarbeiter. Überall ist Druck. Aber überzeugende Antworten darauf haben wir keine. Druck verbessert nichts. Und kluge, nachhaltige Lösungen lassen sich mit Kosmetik und Doping gerade nicht finden. Was uns gut täte, wäre eine Besinnung und die Fähigkeit zum weisen Gespräch. Dazu gehört es, hinhören zu können und verstehen zu wollen. Dazu gehört eine Wertschätzung des anderen und der anderen Ideen.

"Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein", lässt Gott seinem Volk Israel inmitten einer schweren Krise sagen. Und Jesus, von der aufgebrachten Menge zur Verurteilung einer Sünderin gedrängt, schreibt in aller Ruhe im Sand, bevor er den Mund auftut.

In der Gelassenheit und im Schweigen können wir Kontakt zu Hoffnungskräften und den Ideen aufnehmen, die außerhalb unseres engen Rahmens denken. In der Stille finden wir wieder Kontakt zu uns selbst und den anderen. Hat nicht schon manch ein Spaziergang gerade dieses möglich gemacht? Sören Kierkegaard jedenfalls hat darauf vertraut - und quasi seine ganze Philosophie in solchen Pausen entwickelt.

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