In Hamburg hat sich die Internetspiele-Firma Mail.ru etabliert. Bis Ende 2011 soll sich die Zahl der Stellen im Berliner Bogen auf 120 verdoppeln.

Hamburg. Alischer Usmanow belegt auf der Liste der reichsten Russen einen der ersten Plätze. Er ist, wie es in diesem Land nicht selten vorkommt, ein Mann, der für sein Geld geliebt und noch mehr gehasst wird. Mit einer Machtfülle, die Gutes hervorbringt und zu Bösem verführt. In den 80er-Jahren wurde Usmanow wegen angeblicher Erpressung zu acht Jahren verschärften Arbeitslagers verurteilt. Sein gesamtes Vermögen wurde beschlagnahmt. Als er später wieder Millionen verdient hatte, beteiligte er sich am englischen Fußballklub FC Arsenal und erwarb 547 sowjetische Zeichentrickfilme, die er einem staatlichen Kindersender schenkte.

Das Leben des Oligarchen, der zunächst mit Gas und Metall Geld verdiente und sich zuletzt an Facebook beteiligte, wirft die Frage auf, ob es eigentlich real ist oder das Drehbuch eines Hollywoodstreifens. Einer der Handlungsstränge führt nach Hamburg.

Zu Mail.ru games, einer Firma mit Sitz im Berliner Bogen, einem der eindrucksvollsten Bürogebäude der Hansestadt. Die gläsernen Räume der Mitarbeiter haben Blick auf den Kanal, im Pausenraum laden ein Tischkicker und Billard zur Entspannung. Chef ist Alexander Goldybin, ein Informatiker, der in St. Petersburg geboren wurde, sich das rollende russische "R" noch nicht ganz abgewöhnt hat und im Moment einer Dauerbeschäftigung nachgeht: Bewerbungsgespräche führen.

Vor gut zwei Jahren startete das Unternehmen für Internetspiele in Hamburg, es ist die Schaltzentrale der russischen Mail.ru-Gruppe mit ihrem Geldgeber Usmanow in Europa - und wächst rasant. Derzeit arbeiten 60 Beschäftigte für Goldybin, schon Ende des Jahres will der 33-Jährige sein Team auf 120 Leute aufgestockt haben. "Wir werden 2011 den Umsatz verdoppeln und fünf große neue Spiele auf den europäischen Markt bringen", sagt der Chef im dunklen Anzug selbstbewusst.

Goldybin geht offenbar das Tempo von Usmanow und dessen Partnern Juri Milner und Grigori Finger mit: Sie gingen vor wenigen Wochen mit Mail.ru, das früher Digital Sky Technologies hieß, in London an die Börse und sammelten gut 912 Millionen Dollar ein. In Russland wollen sie damit ihre Marktführerschaft rund um ihren E-Mail-Service, um Reiseportale und Navigationshilfen ausbauen.

In Hamburg setzen Usmanow, Milner und Finger auf den Wachstumsmarkt der Internetspiele. Ein Zufall ist das nicht, gilt die Hansestadt doch als Hochburg dieser Branche, deren Produkte früher "Moorhuhnjagd", dann "World of Warcraft" oder heute "Farmville" heißen und nicht mehr nur Kinder und Jugendliche faszinieren, sondern zunehmend auch so scheinbar spielresistente Zielgruppen wie Frauen im mittleren Alter oder Senioren, die im Altenheim nicht mehr nur mit dem Wellensittich kommunizieren wollen, sondern sich nach etwas Abwechslung sehnen. In Hamburg sitzen Bigpoint, innoGames oder gamigo, wichtige Player der Branche mit Hunderten Mitarbeitern, die hier sogar eine eigene Ausbildung für Spieleentwickler etabliert haben.

Mail.ru hat gegenüber vielen dieser Konkurrenten einen entscheidenden Vorteil: "Wir lassen die Spiele in Russland oder Fernost entwickeln und programmieren. In Hamburg lokalisieren wir sie dann nur noch", sagt Goldybin über die Business-Idee, die sein Büro zur Gelddruckmaschine für die russischen Eigentümer macht. Einmal im Osten relativ günstig produziert, kann ein Spiel von den Hamburgern für Deutschland, Polen oder Frankreich angepasst und dort vertrieben werden. Der kulturelle Hintergrund für die Spiele ähnele sich, Marcel aus Paris könne genauso gegen Drachen oder für Elfen kämpfen wie Alexej in Moskau. Einzig die Sprachbarriere bereite bei der länderspezifischen Anpassung zuweilen Schwierigkeiten, sagt Goldybin. "Finden Sie mal einen Übersetzer, der in Hamburg ein chinesisches Spiel auf Polnisch übersetzt", sagt der breitschultrige Mann lachend, der zugibt, in seinem Leben mehr als einmal kurz vor der Spielsucht gestanden zu haben.

Mail.ru setzt bei den Spielen, meist Browsergames, die sich um Duelle mit Bösewichtern, um Reisen in fremde Galaxien oder um Strategien für die Städteplanung drehen, auf eine einzige Einnahmequelle: auf die Accessoires, die das virtuelle Leben der Kämpfer leichter machen. Ein Schwert für zwei Rubine, ein Kürbishut für drei Diamanten. "Wir sind die Zentralbank, die dann die virtuelle Währung gegen Euro eintauscht", sagt Goldybin.

Der Geldkreislauf geht im realen Leben weiter: Die in Hamburg verdienten Euro landen in der wirklichen Welt letztlich im Steuerparadies der British Virgin Islands, einem weiteren Schauplatz des schillernden Lebens von Alischer Usmanow. Denn auf dieser palmengesäumten Karibikinsel hat Mail.ru seinen Sitz, 10 000 Kilometer süd-westlich von Moskau, in sicherer Entfernung.