Der Mineralölkonzern Shell will in seiner Harburger Raffinerie bis zu 300 Stellen streichen. Sogar Kündigungen sind möglich.

Hamburg. Grau und kahl stehen die Bäume vor dem Eingang der Shell-Raffinerie, schmutzige Schneeberge schmelzen, schwarze Krähen flattern über dem Schild, das vor Explosionsgefahr warnt. In der dämmrigen Industrielandschaft leuchtet lediglich das gelb-rote Logo des Unternehmens, es ist eine Muschel, nachdem das Unternehmen im 19. Jahrhundert sein erstes Geld mit dem Handel von orientalischen Meerestieren machte. In den Augen der Mitarbeiter hat das freundliche Logo, eines der wertvollsten Markenzeichen der Welt, seit gestern erheblich an Glanz verloren.

Rund 300 der etwa 550 Stellen sollen wegfallen . "Einige Kollegen haben gerade gebaut oder geheiratet, da ist es schon sehr hart, wenn sie jetzt ihre Arbeit verlieren", sagt Ralf Kunath, Chemikant in der Raffinerie, empört. Die meisten von ihnen sind seit Jahrzehnten im Betrieb. "Seit der Lehre sind wir hier", sagt ein Harburger, der nach der Betriebsversammlung das Gelände verlässt, traurig.

Der Raffinerie steht ein harter Einschnitt bevor. Seit fast zwei Jahren will Shell die Anlage in Hamburg verkaufen, hat sie in aller Welt angeboten und Investoren gelockt, die das Gelände inspizierten, die Bücher geprüft haben und dann doch absagten. Jetzt will Shell die Raffinerie aufspalten. Ziel ist, die kleinere Grundölanlage an einen neuen Eigentümer zu geben, während der Betrieb im größeren Bereich, in dem Benzin, Diesel und Heizöl produziert werden, ab dem zweiten Halbjahr 2012 stillgelegt werden soll. Stattdessen will Shell dort Terminals für den Mineralölhandel und die -lagerung betreiben. Damit wären beim neuen Eigentümer und Shell rund 250 Arbeitsplätze gesichert. 300 Stellen werden allerdings dem Abbau der Raffinerie zum Opfer fallen, wenn sich nicht doch noch völlig überraschend ein Interessent für den Gesamtbetrieb finden sollte.

Doch das scheint unwahrscheinlich. Seine Raffinerie in Heide konnte der Ölmulti zwar bereits im August an einen Investor übergeben. Der Verkauf der Anlage in Harburg scheiterte aber offenbar daran, dass ein neuer Investor rund 30 Millionen Euro in die veraltete Technik, die jetzt stillgelegt werden soll, investieren müsste. Und das lohnt sich für Übernehmer schon deshalb kaum, weil es weltweit Überkapazitäten im Raffineriesektor gibt. Und weil deutsche und andere westeuropäische Anlagen mit ihrer Kostenstruktur gegenüber Regionen wie dem Mittleren Osten oder Asien kaum mithalten können. Erst gestern wurde in chinesischen Medien berichtet, dass Shell mehrere Milliarden Dollar in eine Beteiligung an einem Raffineriegroßprojekt in der Nähe von Shanghai investieren will.

Das Unternehmen ist ein Schwergewicht in der weltweiten Branche. Mit einem Umsatz von umgerechnet 215 Milliarden Euro ohne Mineralölsteuern und 9,8 Milliarden Euro Gewinn ist der Konzern, an dem neben zahlreichen internationalen Aktionären auch das niederländische Königshaus beteiligt sein soll, nach Exxon der zweitgrößte Mineralölkonzern der Welt. 101 000 Mitarbeiter arbeiten in mehr als 90 Ländern.

Jörn Degetow, Betriebsratsvorsitzender in der im weltweiten Vergleich relativ kleinen Raffinerie in Harburg, will sich von der Ankündigung des Multis nicht einschüchtern lassen. "Wir versuchen nun, in Gesprächen mit der Geschäftsführung zu erreichen, dass der Teilungsbeschluss wieder aufgehoben wird und die Anlage weiterhin komplett angeboten werden kann", sagt er. Seit 34 Jahren ist er in der 1926 gegründeten Raffinerie tätig.

"Es ist schon enttäuschend, wie das Unternehmen mit seinen Mitarbeitern umgeht", sagte Degetow und verweist auf Peter Seifried. Der Chef von Shell Deutschland Oil hat laut Degetow und Ralf Rademacher von der Gewerkschaft IG BCE auf der gestrigen Mitarbeiterversammlung zwar betriebsbedingte Kündigungen für dieses Jahr ausgeschlossen, aber nicht für 2012, dem Zeitpunkt, an dem die Anlage abgebaut werden soll.

Gleichzeitig versprach er aber auch, "alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Auswirkungen auf die Mitarbeiter so gering wie möglich zu halten". Laut einem Shell-Sprecher werde man unter anderem versuchen, die Beschäftigten im Konzern oder in andere Firmen zu vermitteln. Das Unternehmen will nun zügig mit den Verhandlungen über einen Sozialplan beginnen. Dass die Mitarbeiter dabei gut wegkommen, wollte gestern auf der Versammlung keiner glauben. "Wir gehören zu einem Global Player. Da zählt so ein Kleinkram wie unsere Raffinerie eben nichts." Wie er heißt, und was er arbeitet? Keine Antwort. "Ich will schließlich nicht auf der Kündigungsliste landen."