Hamburg, Europas Umwelthauptstadt. Es wird zu viel Müll verbrannt, der Nahverkehr ist zu teuer und Fahrradfahren eine Zumutung, kritisiert die Umweltexpertin

Stadträder, Umwelttaxis, Umweltpartnerschaft mit Firmen, Bildungsprogramme in Schulen, Neubauten in Passivbauweise: Ich erkenne an, dass die Stadt Hamburg sich ins Zeug legt, um ihrem Titel "Umwelthauptstadt Europas 2011" gerecht zu werden. Aber mal ehrlich: Das, was Hamburg sich da auf die Fahnen schreibt, sollte das nicht angesichts der Klimaerwärmung längst Standard sein? Selbst Bremen hat pro Kopf mehr Solarenergie als Hamburg, ganz zu schweigen von Bayern.

Vergebens suche ich in Hamburg nach echten Innovationen, nach wirklichen Visionen, nach einer Vorreiterrolle. Und nach deutlichen politischen Weichenstellungen. Es hat wohl seinen Grund, dass es so viele Werbeagenturen in Hamburg gibt. Schon Einstein sagte: "Fact is fact, but perception is reality!" Hamburg war immer schon gut darin, sich selbst zu vermarkten, da kommt noch nicht einmal Katar mit.

Noch liegt vieles im Argen: In der Umwelthauptstadt Europa 2011 finden unsinnige Kraftwerksbauten statt (aber wahrscheinlich ist die Kohle ökologisch angebaut). Es fehlt die Biotonne in etlichen Stadtteilen. Hamburg hat noch immer den geringsten Anteil von Kompostierung und Altpapierverwertung in Deutschland. Aufgrund falscher politischer Entscheidungen der Vergangenheit wird Müll überwiegend verbrannt statt verwertet. Solange aber Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, ihr Müll landet doch nur in der - wie es euphemistisch heißt - "thermischen Verwertung", so lange wird man die extrem niedrige Akzeptanz für die Mülltrennung in Hamburg nicht erhöhen können.

Der öffentliche Personennahverkehr Hamburgs ist gut, aber im Vergleich zu anderen Städten sehr teuer. Es gibt keine soziale Preisstaffelung, Tickets sind nicht übertragbar. Fahrradfahren in der Stadt ist teilweise auch heute noch eine Zumutung - Beispiele dafür sind Gertigstraße und Sierichstraße. Mit Straßen wie diesen wird Hamburg sein Ziel, den Radverkehr auf 18 Prozent steigern zu können, nicht erreichen.

Die größten Würfe aber könnte die Stadt im Bausektor erreichen. Hier konzentriert sie sich zu sehr auf Passivhausstandard bei Neubauten, wo doch die Altbauten ein riesiges Potenzial zur Energieeinsparung vorweisen. Förderungen hier sind zu zaghaft. Und mehr noch: Gerade bei Häusern lohnt sich das Denken über die Themen Sparen und Effizienz hinaus: Häuser sind schon heute in der Lage, mehr Energie zu geben, als sie selbst benötigen. In dem Zuge wäre ein umfangreiches Förderprogramm zur Dach- und Fassadenbegrünung ein Mittel, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Das Haus selbst ist dann nicht nur besonders sparsam, sondern - mehr noch - wertvoll für das Klima und wertvoll für die Artenvielfalt.

Ich habe schon 2008 ein Flächenrecycling vorgeschlagen, von dem ich nichts in den derzeitigen Planungen der Umwelthauptstadt 2011 lese. Wer CO2 reduzieren will, der muss Gewerbebrachen wieder nutzen und darf nicht weiter die Wiesen für große und immer nur einstöckige Logistikhallen zubetonieren. Er hat sonst immer weniger grüne Lungen zur Verfügung, die CO2 auffangen können. Aber wahrscheinlich wird die Einführung der neuen Flaschen für die Stille Quelle von Bismarck als CO2-Einsparung angerechnet, da ja Kohlensäure zur Klimaveränderung beiträgt.

Klima- und Umweltschutz erschöpft sich eben nicht allein in der Reduktion von CO2. Wo sind die Ansätze der Umwelthauptstadt 2011, Feinstaub zu reduzieren? Wo die Ziele, den Lärm zu verringern? Wo taucht bei den vakuumverpackten Häusern die Frage auf, wie es um die Innenraumluft bestellt ist? Asthma und Allergien sind die Folge, wenn in Innenräumen Substanzen ausdünsten, die durch die turbogedämmten Häuser nicht entweichen können. Letztlich frage ich: Wo ist der ganzheitliche Ansatz, der Gesundheit, Umwelt und Wirtschaft unter einen Hut bringt?

An einem Konzept, das das auf den Weg bringt, würde ich eine Umwelthauptstadt messen. Das erfordert - nicht nur in Hamburg -, die Dinge vom Anfang bis zum Ende durchzudenken und nicht nur in schöne Bilder zu verpacken. Ist es sinnvoll, Glühbirnen zu verbieten, solange es für die Quecksilber enthaltenen Energiesparlampen keinen funktionierenden Wiederverwertungs-Kreislauf gibt? Nein. Ist es sinnvoll, Dünnschicht-Solarmodule mit Cadmiumtellurid zu fördern, wie Hamburg es tut, obwohl diese nicht gesichert recycelt werden? Ebenfalls nein. Hamburg, das wünsche ich mir, könnte seinen Titel nutzen, und wirklich einen großen Wurf machen.

Nach 35 Jahren aktiver Umweltarbeit - von der Bürgerinitiative in Hamburg über Greenpeace, meine Zeit im niedersächsischen Umweltministerium und dem Bundestag bis heute, wo ich wegen der Laufzeitverlängerungen der AKWs wieder in Menschenketten gegen Atomkraft stehe - bin ich ungeduldig. Viele andere Menschen sind es auch. Hamburg sollte mehr tun als 300 Einzelmaßnahmen zur CO2-Reduzierung umsetzen. Hamburg kann neu denken und handeln. Die Menschen und die Firmen gibt es dafür in Hamburg!