André Heller (63 Jahre) über seinen Abschied vom Ego, Kunst, die keine ist, und seine neue Show “Magnifico“. Ein Treffen in alten Räumen.

Alfred von Windisch-Graetz hat hier auch mal gewohnt - der Fürst, dessen Niederschlagung des demokratischen Aufstands von 1848 Wien 2000 Menschenleben kostete. Robert Blum, den Abgeordneten der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, ließ er füsilieren. Ein düsteres Kapitel. Danach haben die Chorherren von Klosterneuburg von hier ihre Weindomänen verwaltet, das war schon freundlicher. Heute residiert in dem kleinen Stadtpalais Windisch-Graetz im 1. Wiener Bezirk, das schon im Treppenaufgang eine beeindruckende Inszenierung ist, ein Zauberer, der Fantasie und heitere Gefühle heraufbeschwört: André Heller.

Wer durch die Tür in seine Beletage geleitet wird, betritt eine andere Welt, und niemand würde sich ernsthaft wundern, wenn jetzt Meerschweinchen auf Nussschalen dahergeschlittert kämen, um einen Kaffee anzubieten. Das Winterlicht von draußen wird durch Vorhänge gedämpft, sehr leise Klaviermusik weht durch die Räume wie der Duft eines Räucherstäbchens. Die Einrichtung wirkt, bis auf die unmittelbaren Arbeitsecken, wie ein Stillleben, das einer unmerklich feinen Inszenierung folgt, irgendwo zwischen Kunst, Völkerkunde und Heller: Gemälde, afrikanische Skulpturen, Zeichnungen, Buddhas, Widmungen, Götter, Fotos, Tiere, Antiquitäten, Masken, Fabelwesen. Ein Zimmer weiter, das von einem raumhohen - und die Räume sind hoch hier - Baselitz-Gemälde dominiert wird, liegt in einer Vitrine, halb verdeckt, ein sechseckiger Stern aus gelbem Stoff.

"Der Judenstern vom Vater", sagt der Hausherr. "Das alles hier sind Splitter von Projekten, Purpurstaub und Schutt aus meinem Leben oder der Familiengeschichte." Heller spricht leise, seine Stimme, ihre Intonation und der leicht schleppende Wiener Dialekt wirken vertraut. Wenigstens für jemanden, der nicht nur mit Songs, sondern auch noch mit Liedern und Chansons aufgewachsen ist, in denen ein junger Mann aus Wien innerste Regungen zu unstillbaren Sehnsüchten und bittersüßen Wahrheiten zurecht sang.

Diese märchenhafte Wohnung, die im Interview zu seiner vertrauten Bühne wird, ist zweierlei: Depot einer Selbstvergewisserung, denn vieles hier stammt von Künstlern, mit denen er in seinen Shows und Projekten zusammengearbeitet hat. Es sind die ganz großen Namen, und wer besitzt schon ein Porträt von sich, das Keith Haring und Andy Warhol gemeinsam gezeichnet haben? Und es ist zugleich ein Schutzraum, der Zweifel und Kritik weich und wohlwollend abfedert.

Was hat er sich alles anhören müssen: Event-Hansel, Vermarkter fremder Kreativität, Generaldilettant. Heute, mit 63 Jahren, lacht er nur kurz darüber. Wer das sagt, sortiere ihn falsch ein: "Ich bin vor 40 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten, um nicht Päpste, Kardinäle, Bischöfe, Kerzlweiber und Ministranten ertragen zu müssen. So bin ich auch vor 20 Jahren aus der Kunst ausgetreten. Die Kunst, das ist ein fundamentalistischer Verein. Und ich gehör zu gar keinem Verein."

Das Kind Franz Heller, das sich später André nannte, kam 1947 auf die Welt, Sohn eines Zuckerl-Fabrikanten jüdischer Abkunft, der den Nazi-Terror in der Emigration überlebt hatte. In solch wohlhabenden Familien wurde ein Kind noch oft beim Kindermädel abgegeben; später steckte ihn der Vater ins Jesuiten-Internat. Gegen Gefühlsarmut und kalte Strenge half ihm dies: "Ich sucht mein Aufenthaltsrecht im Land der Fantasie." Der Junge malte ganze Hefte voll mit exotischen Ländern, verpasste ihnen eigene Flaggen und komponierte ihnen Nationalhymnen, um sich dann mit dem Schaukelpferd auf die Reise dorthin zu machen. Die Tür ins Reich der Fantasie öffnete sich noch viel weiter, als er sich die Welt der Buchstaben erschloss. Lesen weitete das Universum der Träume ins Unendliche. Und, sagt er, ermutigte ihn, gegen so viel Entmutigung ringsumher etwas zu tun, das anderen Ermutigung und Kraft geben kann.

Die Großmutter, sein seelewärmendes Refugium der Kinderzeit, erzählt ihm von den großen Künstlern. Später wird es ihn immer häufiger weg von der Schulbank und hin in die Dorotheergasse ins Café Hawelka ziehen, da, wo Wiens Künstler heiß diskutieren. Er hört ihnen zu, beschließt aber irgendwann, die zu besuchen, über die dort geredet wird. "Ich hab mir gedacht: Wenn ich schon was lern, dann von den Gescheitesten, die mir zugänglich sind. Es ist ja ein jüdisches Prinzip, dass man zum Rabbi geht, wenn man etwas wissen will. Und das waren meine Rabbis."

Der junge Mann besucht Maler, Schriftsteller, Musiker, Filmemacher, spricht mit ihnen, knüpft Kontakte und begreift zweierlei: dass man Unmögliches manchmal einfach nur tun muss und dass er offenbar die Fähigkeit hat, berühmte und bewunderte Menschen dazu zu bringen, ihn ernst zu nehmen.

Er provoziert das österreichische Phlegma, will als Beruf "Poet" in seinen Pass eintragen lassen - vergebens. 1972 dreht er einen surreal anmutenden Nachruf auf sich selbst: "Wer war André Heller?" mit Bilderwelten, die zum Skandal werden und heute, in der Ästhetik der Generation Videoclip, normal sind. Heller wird berühmt, sein Ego wächst, er ist "der Heller", der mit "der Pluhar".

Ein Träumer, der zum Verwirklicher wird. 1976 gründet er mit Bernhard Paul den Retro-Romantik-Circus Roncalli, der bis heute Millionen Menschen verzaubert. 1981 folgt "FlicFlac", die Varieté-Show, dann kommen Feuerspektakel, er pflanzt Blumen zu poetischen Sätzen, lässt Heißluftballon-Skulpturen aufsteigen. 1987 fasziniert er auf der Moorweide in Hamburg mit dem mit zeitgenössischen Großkünstlern gestalteten Vergnügungspark Luna, Luna. Seine Freunde liefern Karussells, Pavillon, Spiegelkabinett, Dekorationen und Musik. Immer wieder zieht ihn das Varieté an, Artisten, Kulturen fremder Völker. Er verfremdet Landschaften, schreibt Bücher, dreht Filme.

Viele Menschen fühlen sich von Hellers Werken reich beschenkt; sie öffnen ihnen das längst vergessene Staunen der Kindheit, Gefühle und Träume. Er bekommt viel zurück, findet weltweit Anerkennung, kann sein eigenes Leben noch kompromissloser ausleben. Aber was ist das, das eigene Leben? "Als Kind und als Erwachsener war ich immer sehr fremd und hab ein Zugehörigkeitsgefühl spielen müssen, manchmal grandios geheuchelt, das überhaupt nicht meinem inneren Empfinden entsprach. Ich hab immer Heimweh gehabt nach etwas, das höchste Qualität und Harmonie ist. Diese Polarität ist etwas sehr Verstörendes, aber eben das, was wir hier als Spezialität ununterbrochen erleben: groß - klein, kalt - warm, schön - hässlich, erfolglos - erfolgreich. Das bringt natürlich ein hohes Maß an Getue mit sich. Am Anfang ist das ganz interessant, aber ich bin jetzt 63 und denk, ich muss mir eine Art Schutzwall schaffen, in dem ich überhaupt stattfinden kann, ohne krank zu werden. Gelernt hab ich, dass man sehr gut beraten ist, dankbar zu sein - und sich möglichst wenig Ego zu gestatten."

Wie aber findet ein Egomane zu der geläuterten Abgeklärtheit, die da gerade aus André Heller spricht? "Ego ist etwas, das einen in Geiselhaft nimmt. Und ich hab Jahrzehnte soooo ein Ego gehabt. Ich hab das eines Nachts verabschiedet und gesagt: Danke, wir haben merkwürdige Dinge miteinander erlebt, nicht viele, die mir ein frohes Herz schufen, aber jetzt gehe bitte woandershin. Man muss begreifen, dass man sein Ego nicht ist, sondern dass man's hat. So wie man kein Auto ist, sondern eins hat. Ich habe viele Jahre geglaubt, das bin ich." Und was hat ihn zu dieser Wende gebracht? "Dass ich irgendwann ein Maß an Unglücklichsein und Mit-mir-selbst-nicht-befreundet-Sein gespürt hab, das ich als unerträglich empfand. Parallel dazu wird mir immer klarer: Jede Art von Selbstverrat muss in einer Krankheit enden. Da kann man Nobelpreisträger sein oder Chef der größten Bank - das erzählt nicht, in welch desaströsem inneren Zustand man ist. Es hat keinen Sinn, dass ich mich frag: Ist der Zeitgeist grad woanders? Ich muss vollkommen loyal sein mit den Bedürfnissen meiner Seele. Nur dann erkennt man, dass der sogenannte einfache Weg eine tödliche Gefahr ist und der vermeintlich schwierige in Wirklichkeit der einfachere, weil er mich nicht krank macht. Man muss auch Lust haben, sich nicht zu fügen in eine bestimmte Art von Idylle. Die Idylle ist etwas ganz Gefährliches - ich hab mal ein Lied geschrieben, darin heißt es: Misstraue der Idylle, sie ist ein Mörderstück. Schlägst du dich auf ihre Seite, schlägt sie dich zurück."

50 lange Jahre, sagt er, habe er gebraucht, um in etwa das zu werden, was die Juden wie einen Ehrentitel gebrauchen, wenn sie sagen "Er is a Mensch." Und sein Sohn - Kinder zu haben war etwas, das er sich zuvor nie vorstellen konnte - sei für ihn der große Türöffner gewesen: "Durch ihn lernte ich, was bedingungslose Liebe ist, nämlich, dass ich jederzeit bereit bin, seinen Vorteil vor den meinen zu stellen. Und dass ich gelernt habe, jemanden um dessentwillen zu lieben, was er tatsächlich ist, und nicht nur das, wie ich ihn haben will." Hellers Sohn Ferdinand ist Hip-Hopper und studiert Sound-Engineering in New York.

Hellers neue Lebensphilosophie - hat sie Einfluss auf das, was er tut? "Ich hab aufgehört, große Pläne zu machen, weil es ja doch nicht so kommt. Ich sag: Mich gibt's so, wie ich jetzt grad bin, und ich bitte höflich, dass alles, was von mir getan werden will, sich bei mir melden soll, und dann entscheiden wir miteinander, ob ich's tatsächlich tun soll."

Sorgen muss er sich da wenig machen, gerade wieder entdeckt und bevölkert er ein neues Fantasie-Land - den Traum des Einhorns Magnifico. Ein Einhorn-Bild hängte seine Großmutter in sein Zimmer, sie hatte ihm diesen Namen gegeben; es war dem kleinen Heller eine Art Schutzengel, wenn er Angst vorm Einschlafen hatte, weil - wer weiß - vielleicht träumt man schlecht oder wacht nie mehr auf?

Jetzt träumt Magnifico, und "das Einhorn wird geachtet und geliebt für die Pracht und Herrlichkeit seiner Träume". Die sind wie jeder Traum unlogisch, eine Laune dreht das Kaleidoskop, und etwas vollständig anderes taucht auf. Eine Pferde-Show wünschte sich Veranstalter Marcel Avram von Heller, und der entdeckte plötzlich, dass ihn mehr mit Pferden verband, als er ahnte. Stecken- und Schaukelpferde, und dass sein Vater im Ersten Weltkrieg Kavallerieoffizier war, dass die Milch in seiner Jugend mit Pferdewagen ausgefahren wurde. Er stieß auf Zentauren und auf Pegasus, aus dessen Hufschlag der Funke aller Kreativität stammt. Dazu kommen Artisten, surreale Wesen, Akrobaten, Schattenspieler, Sänger Tänzer, Exzentriker, Sultane und echte Pferde. Heller ist kein Pferdenarr: "Wir haben an die 25, mit einem oder zweien bin ich per Du, mit allen anderen sehr respektvoll per Sie."

Aber zum Einhorn gehört doch eine Jungfrau, die es zähmen kann? Es legt dann seinen Kopf mit dem Horn in ihren Schoß. "Ach, vielleicht ist das ja nur ein stummes Räsonieren über die Möglichkeit ... Bei uns spielen die miteinander."

Während in der Nähe von Wien die Proben für die neue Heller-Show laufen, kümmert er sich auch um sein nächstes, sein Herzensprojekt. "Seit 1972 bin ich um den heißen Brei Marokko herumgeschlichen. 2009 hab ich begonnen zu bauen - einen ganzen Ort nach meinen Vorstellungen, bei Marrakesch am Fuß des Atlas-Gebirges. Jedes Haus hat eine andere Bedeutung für mich, es gibt ein Haus der Musik, ein Haus zum Lesen, ein Haus zum Essen, ein Haus zum Malen, 5000 Quadratmeter Kräutergarten, einen drei Hektar großen Park, ein Museum ..."

Ist er vielleicht einer dieser Menschen, denen das Planen und Gestalten wichtiger ist als das Besitzen des Fertigen? "Wer das zum Schluss braucht? Sie haben vollkommen recht: Es ist ziemlich sicher, dass all dies für noch Ungeborene geschieht. Das ist ja im Grunde das Selbstloseste, was es gibt: Einen Park in meinem Alter von null zu beginnen, denn das leuchtende Ergebnis wird man nicht mehr erleben. Der braucht 40 Jahre, um in seiner Grandezza halb fertig zu werden." In Italien hat er einen solchen Paradiesgarten in Gardone vervollkommnet und verzaubert; den hatte ein anderer angelegt und nie die Fertigstellung erlebt.

Schielt da schon einer, der sonst auf eher flüchtige Künste gesetzt hat, auf etwas, das bleibt? "Ich bleib ja zu einem bestimmten Prozentsatz in dem, wie mein Sohn geworden ist. Ich hab meine Zeit gehabt, jetzt ist es wunderbar. Ich habe mich unter vielen Schmerzen und Ängsten lernend verwandelt, und jetzt ist endlich Erntezeit mit Spielen, Weinen, Lachen und der Hingabe an ein sinnliches, gesegnetes Leben. Nachruhm - das ist eine der verrücktesten Ideen. Man stirbt - was heißt das? Sich von allem zu verabschieden, was man zutiefst nicht ist. Geh raus aus dieser Figur André Heller. Meine Seele, die immer war und immer sein wird, ist dann um die Erfahrung dieses merkwürdigen Gastspiels reicher."

André Heller, der betörende Philosoph und altersweise Gaukler, entlässt den Reporter nach dieser für heute letzten Drehung des unendlich bunten Kaleidoskops, das André Heller heißt. Wissen wir jetzt mehr über den Mann, der so viele Augen leuchten lässt? Andererseits: Kann man herausfinden, warum die Riesenseifenblasen von Roncalli-Clown Pic uns so erfreuen, würden wir sie exakt vermessen? André Heller wird, das steht fest, immer wieder das tun, was er tun muss. Er kann gar nicht anders.

Magnifico Vom 6. April bis 8. Mai 2011 in den Zeltpalästen an der Behringstraße, Karten von 19,- bis 89,- Euro gibt es in den Abendblatt-Ticketshops sowie über die Abendblatt-Tickethotline: T. 30 30 98 98.