In der St.-Petri-Kirche in Altona wurde gestern der erste Gottesdienst gefeiert, nachdem der vermeintliche Sex-Skandal öffentlich wurde.

Altona. "Ich möchte unseren alten Pastor zurückhaben", sagt die Frau. Sie schluchzt, doch ihr Ton klingt bestimmt. Die Frau - sie ist vielleicht Ende 30 - will ihren Namen nicht nennen. Jedenfalls nicht mehr, nachdem ihr ein Gemeindemitglied zur Seite getreten ist und zu verstehen gegeben hat, dass es doch besser sei zu schweigen. Die Frau und der ältere Mann mit dem klugen Rat kommen gerade aus dem Gottesdienst. Aus der St.-Petri-Kirche in Altona. Jener Kirche, die - wie jüngst bekannt wurde - im vergangenen November womöglich Schauplatz einer Vergewaltigung geworden ist. Der Vergewaltigung einer Frau durch Michael G., 49, dem nunmehr suspendierten Pastor der evangelisch-lutherischen Gemeinde an der Schillerstraße (wir berichteten).

Rückblick. Gestern: der erste Gottesdienst in St. Petri nach Bekanntwerden des vermeintlichen Sex-Skandals. Rund 40 Gläubige haben sich in der Kirche versammelt. "Nicht mehr oder weniger als sonst", wird Kirchenvorsteher Florian Strunk, der den Gottesdienst heute leitet, hinterher sagen. Die Affäre um den angeblichen Beischlaf vorm Altar spricht Strunk während der Feier mit keinem Wort an. "Dazu ist von unserer Seite bereits alles gesagt", wird er später sagen. Das heute, das sei halt ein "ganz normaler Sonntagsgottesdienst" gewesen.

Ob die Atmosphäre in dem Gottesdienst ganz normal ist, das sei einmal dahingestellt - jedenfalls ist sie gedämpft. Für die getragene Stimmung bieten der dunkelrote Backstein an den Wänden und die tiefbraunen Sitzbänke im Raum eine passende Kulisse. Von oben herab fällt das matte Licht der Kronleuchter, Kerzen scheinen sanft, vorne steht ein blasser Amaryllis-Strauß in einer Vase. Wie gesagt: Die Schlagzeilen der letzten Tage kommentiert hier niemand. Wenigstens nicht explizit. Immer wieder jedoch implizit, jedenfalls ließe sich das so interpretieren. So sagt Florian Strunk während der Fürbitten: "In Stille tragen wir zu dir, was uns bewegt." Und beim abschließenden Segengebet erbittet Strunk von Gott Beistand, um mit dem zurechtzukommen, "was er uns schickt".

Szenenwechsel. Nach dem Gottesdienst gehen die Gemeindemitglieder schnell auseinander. Sich öffentlich äußern will fast niemand, höchstens mit dem Satz "Wir reden grundsätzlich nicht mit Journalisten!" Bernd Rickert vom St.-Petri-Kirchenvorstand möchte ebenfalls nichts zur Sache sagen, meint vor dem Gotteshaus aber immerhin, dass nun "Schadensbegrenzung" wichtig sei. Wirklich sprechen, das tut als einzige Ausnahme - wie erwähnt aber auch nur mit Einschränkungen - die eingangs bereits genannte Frau. "Unser alter Pastor ist ein guter Mensch", sagt sie. "Er ist ein bodenständiger Mann, einer, der nicht in den Himmel guckt, sondern den Himmel auf der Erde sieht." Deshalb solle er nach St. Petri zurückkehren. Im Übrigen, fügt sie mit hörbarer Verbitterung hinzu, gehöre "schon einiges dazu", einer Kirchengemeinde ausgerechnet zwei Tage vor Weihnachten ihren Pastor wegzunehmen. Die Frau ergänzt: "Gerade im Moment sind wir Christen doch gefordert. Als Menschen, die vergeben. Wir sollten großherzig sein."

Mit ihrer hohen Meinung von Pastor Manfred G. scheint die Frau indes nicht allein zu sein. Gestern erreichte das Abendblatt der Brief einer anderen Dame: "Tieftraurig" sei sie, schreibt sie, "über das Schicksal eines wunderbaren Menschen, den ich für sein Engagement und seine Menschenliebe sehr achte".