Immer mehr Menschen horten immer mehr Sachen in immer mehr Selbstlagerzentren, ihre Mitbringsel. Einblicke in eine Wachstumsbranche.

Hinter Tür Nummer 1028 lagert sein Schatz. In einen Raum, den manche wegen seiner übersichtlichen Ausmaße nicht mal als Kleiderschrank akzeptieren würden, stopfte Oliver Ahrens die Mitbringsel seines Lebens. Und weil sich in 43 Jahren einiges ansammelt, liegen hier, auf sechs Quadratmetern, etwa 400 Langspielplatten, die Biedermeier-Schränke seines Vaters, ein Gebirgsmassiv aus Umzugskisten und der rote Kühlschrank, den er so mag. Manchmal ist Oliver Ahrens selbst erstaunt, wie wenig Platz seine gegenständliche Erinnerung braucht: "Aber ich schätze, ich habe mein altes Leben ziemlich geschickt gestapelt."

Wie ein sentimentaler Typ sieht der Hamburger nicht aus. Kurze dunkle Haare, Brille, sportliche Figur - so steht er vor seinem Abteil im Selbstlagerzentrum. Vor einem Jahr ist der Sozialarbeiter mit seiner Frau Hilke in eine 60-Quadratmeter-Wohnung gezogen. Für etwas Opulenteres langten weder Zeit noch Geld, weshalb das Paar vor der Herausforderung stand, auf begrenztem Raum aus zwei Haushalten einen zu machen. "Klar, dass da einige Sachen draußen bleiben mussten", sagt Oliver Ahrens. Zu seinem Bedauern waren es überwiegend die Kostbarkeiten seines Lebens, die keinen Platz in der Drei-Zimmer-Wohnung fanden. Seitdem gehört er zur wachsenden Zahl Menschen, die ihre persönlichen Heiligtümer kostenpflichtig auslagern.

Das "My Place"-Selfstoragezentrum an der Kieler Straße ist so ein Lagerkomplex. Und womöglich ist der graue, schmucklose Quader eine der größten Schatztruhen der Stadt. Denn nicht nur Oliver Ahrens parkt hier sein Hab und Gut. Viele andere tun das Gleiche. Sie haben sich ein Abteil gemietet, es befüllt und abgeschlossen. Einige bringen hier Material für eine Geschäftsidee unter, andere horten Aktenberge, wieder andere Surfbretter oder ausgestopfte Eulen. 633 Abteile. 633 Geschichten. Erinnerungsgetränkte Vergangenheit.

Lange Zeit waren Dachböden oder Keller erste Wahl, wenn es darum ging, Sachen aus dem Blickfeld zu schaffen, die zu schade für den Sperrmüll waren. Aber Oliver Ahrens wollte weder Wasserflecke aus feuchten Kellern an den Möbeln noch gebogenes Vinyl wegen überhitzter Dachböden. Darum lagerte er aus. Und bezahlt dafür 108 Euro im Monat. Vor 13 Jahren begann das professionelle Auslagern in Deutschland mit dem ersten Zentrum in Düsseldorf. Mittlerweile gibt es 60 dieser Selfstorage-Schatztruhen bundesweit, zehn allein in Hamburg.

Dabei vermittelt das "My Place"-Zentrum an der Kieler Straße mehr den Charme einer Haftanstalt denn eines Schatzkästchens: Neonröhren beleuchten die langen, kargen Gänge. Zahlreiche Überwachungskameras säumen den Weg, ebenso wie fensterlose Stahltüren, die Zelleneingängen nachempfunden scheinen. Wie in einem Gefängnistrakt baumeln überall Vorhängeschlösser, weshalb das Hinweisschild am Eingang fast beruhigend wirkt, wenn es verkündet: "Das Einlagern von Lebewesen jeglicher Art ist verboten."

Während Selfstorage in Deutschland ein junger Wirtschaftszweig ist, hat es in den USA Tradition. Jenseits des Atlantiks horten Menschen bereits seit den 50er-Jahren Sachen in Selbstlagerhallen - zum einen, weil oft ohne Kellergeschoss gebaut wird, zum anderen, weil Amerikaner umzugsfreudig sind. Heute existieren im Mutterland des organisierten Wegorganisierens 40 000 dieser Zentren.

Und im Hollywood-Klassiker "Das Schweigen der Lämmer" erlangte ein Selfstorage-Zentrum im Jahr 1991 sogar kleine cineastische Berühmtheit. In einer Szene wird die blutjunge FBI-Agentin Clarence Starling (Jodie Foster) in ein dunkles Lagerhaus gelockt, wo der psychopathische Serienkiller Dr. Hannibal Lecter (Anthony Hopkins) ein Abteil gemietet hatte. Wir erinnern uns: um dort einen abgetrennten Schädel zu deponieren.

Oliver Ahrens hat diese unappetitliche Geschichte nicht abgeschreckt. Im Gegenteil: Als er eher zufällig auf das Selfstorage-Center aufmerksam wurde, fand er, dass es eine irrsinnig praktische Lösung sei: "Hier sind meine Sachen sicher, warm und trocken. Denn das sind alles Dinge, die einen Wert für mich haben", sagt er, wischt den Staub von einer alten Bryan-Adams-Platte und taucht kurz in die wilden Tage seiner Jugend ab. Diese Musik gehörte dazu. Diese Musik darf nicht verloren gehen.

Beim Höker bekommt man für die Platte vielleicht zwei bis drei Euro. Aber es ist vor allem der ideelle Wert, der Oliver Ahrens davon abhielt, sich mit seinem Hausrat auf den Flohmarkt zu stellen. Denn grundsätzlich könne er sich gut von alten Sachen trennen. Aber die Musik seiner Jugend, das Mobiliar seines Vaters oder das Playmobil-Spielzeug seiner Tochter Jeanne wollte er nicht einfach weggeben. All diese Sachen - seine Couch, seine Bilder oder sein altes Spinnrad -, das ist sein Leben in einem Container. "Und irgendwann soll das auch wieder raus hier."

Bis dahin profitiert die Wachstumsbranche Selfstorage von Leuten wie ihm. Binnen der vergangenen 13 Jahre schossen die meist schmucklosen Bunker in siedlungsdichten Gebieten aus dem Boden, wobei der nördlichste auf Sylt steht. Die steigenden Mietpreise in Ballungszentren wie Berlin, München oder Hamburg zwingen immer mehr Menschen, kleine Wohnungen zu mieten. "Was bei einem Neuvermietungspreis von mehr als elf Euro pro Quadratmeter in Hamburg kein Wunder ist", sagt Stefan Schmalfeld vom Mieterverein zu Hamburg. Und was nicht reinpasst, wird eben ausgelagert.

Wie viele Menschen die Lagerhäuser in Deutschland nutzen, kann nur geschätzt werden. Fest steht: Es werden mehr. Zuwachsraten von 50 Prozent wie im Jahr 2009 erreichen die Unternehmen zwar nicht, aber der Verband Deutscher Selfstorage-Unternehmen rechnet immerhin mit einem Plus von 30 Prozent für 2010 und 2011. Und zwar nicht, weil die Keller in Deutschland knapp werden, sondern weil sich die Gesellschaft verändert hat, wie der Verbandsvorsitzende Martin Brunkhorst ausführt. "Ein Drittel der Kunden lagert aus Not ein. Ein Drittel wegen beruflicher Migration. Und ein Drittel führe ich auf die Auswüchse der Wohlstandsgesellschaft zurück."

Anders formuliert: In einer globalisierten, flexiblen Arbeitswelt muss der Hausrat in Hamburg bleiben, wenn es zum Job nach Toronto geht. Und wenn sich bei Gutsituierten die teuren Stilettos stapeln, kommen sie in einem Akt des Wohlstandmessitums eben ins Lagerhaus. Andererseits müssen die Möbel nun mal irgendwo zwischengelagert werden, wenn das Geld eines Arbeitslosen nicht mehr für die Miete reicht. Und mit ausufernden Freizeitoptionen nimmt natürlich auch der Platzbedarf für Boote, Tennisschläger oder Surfutensilien zu. Die eigene Wohnung wird da rasch zu klein.

Zur auslagernden Freizeitklientel zählen auch die Besitzer des Abteils Nummer 0045. Vier Surfbretter, neongelbe Segel und einige Sporttaschen sind hochkant in der Zwei-Quadratmeter-Box deponiert. Denn beim Selbstlagern gilt die Regel: Platz ist Geld. Sven Tollmien und seine Freundin Anna Erett, ein sportives Pärchen in sportiven Klamotten, gehört das Abteil. Im Gegensatz zu den meisten anderen Lagernutzern öffnen die beiden regelmäßig ihre blaue Tür. "Da wir fast jedes Wochenende an die Ostsee fahren, sind wir vermutlich häufiger hier als der große Rest. Wir sind so was wie Stammgäste", sagt der surfende Trendforscher Sven. Freitags werden die Bretter auf den VW Passat gewuchtet, sonntags lädt das Pärchen wieder ab. "Hier gibt es keine Parkplatznot wie in Altona, wir können einen Schubwagen benutzen und müssen keine Treppen steigen", sagt Anna. Außerdem komme man bis 22 Uhr per Zugangscode ins Gebäude, sei weitestgehend selbstbestimmt und müsse die eigene Wohnung nicht mit sandigem Surfzeug zumüllen.

Neben zehn großen Selbstlagerzentren in Hamburg gibt es auch diverse kleinere Einzelanbieter. Doch nur die großen Zentren erfüllen laut Horst Brunkhorst die Kriterien des Selfstorage-Verbandes: "Das heißt, sie sind sicher, sauber, trocken, hell und bequem." Neben dem Branchenprimus My Place, der jüngst an der Stresemannstraße Richtfest für sein fünftes Zentrum feierte, buhlen auch Firmen wie Secur (zweimal in Hamburg) oder Citilager um die Gunst der potenziellen Mieter. Ein durchaus erfolgreiches Werben. An der Kieler Straße sind die bislang fertiggestellten vier Etagen dicht belegt, 408 von 633 Boxen sind vermietet.

In Abteilnummer 0076 sitzt Lidia Nikodem auf einem blauen Stoffsessel umgeben von einem klammerbeladenen Wäscheständer, einem ausrangierten Mountainbike und einer Bohrmaschine. Ihr Blick auf das Eingelagerte ist weniger sentimental, denn es sind die Sachen ihres Bruders Michael. Der junge Bundeswehrsoldat leistet momentan seinen Dienst in Friedrichshafen und nutzt den Bunker als Zwischenstation für seinen Hausrat. Der 22-Jährige hat seine Wohnung aufgegeben. Ganz im Gegensatz zur Schrankwand seiner Mutter. Viele Sachen seien Erbstücke des früh verstorbenen Vaters, und nach der Bundeswehr könne der Soldat das Möbel gewordene Starterset gut gebrauchen.

Seine Schwester Lidia verwaltet das Zehn-Quadratmeter-Abteil. "Ich wusste vorher gar nichts von Selfstorage. Aber als ich nach Lagerräumen gegoogelt habe, bin ich auf das Haus gestoßen." Es liegt praktischerweise nahe ihrer Wohnung, "darum haben wir erst mal alles hier reingebracht und für ein Jahr gebucht. Was dann kommt, müssen wir mal sehen." Es ist eine Zweckbeziehung auf Zeit. Mehr Geschäft als Konservierung von Erinnerungen.

Selbstlagern ist in letzter Konsequenz Geschäft. Auch für viele Mieter. Sie nutzen die Räume für gewerbliche Interessen. Weil ihnen echte Büroräume zu teuer sind, verlagern sie ihr Geschäft in eine Box.

So wie Jan Voigt, der mit raspelkurzem grauen Haar, markanter Zahnlücke und Extrabreit-T-Shirt den Antipapst des Geschäftsmanndresscodes gibt. Seine zwei Abteile (Nummer 0065 und 0056) dienen als Zwischenlager. Denn die Profession des 49-jährigen Risseners ist es, sich beschenken zu lassen, um das Geschenkte weiterzuverschenken. Ein ebenso symbolischer wie meditativer Vorgang für ihn, denn er vermittelt Sachen, die an einer Stelle nicht mehr gebraucht werden, an anderer Stelle aber zu hellen Begeisterungsstürmen führen: "Aus Wertlosem mache ich Wertvolles. Hier der Reichtum, dort die Armut - ich mag das Pendeln zwischen den Welten."

In Abteil Nummer 0065 stapelt er gerade Kunstdrucke um. Jan Voigt nimmt bei Haushaltsauflösungen alles - nur keine Möbel. Wer zu viel hat, kann ihn anrufen. Sein Lohn sind ausschließlich Sachen. Mit dieser Mediatorenfunktion half er sogar schon Künstlern auf die Sprünge, deren Werke er mitnahm, sie kauf- und kunstinteressierten Menschen zeigte - voilà!

Regelmäßig steht er auf dem Flohmarkt an der Rinderschlachthalle am Karoviertel und gibt die Sachen weiter, die ihm kostenlos angeboten werden. Dass dabei ein skurriles Sammelsurium zusammenkommt, liegt auf der Hand, weshalb ausgestopfte Eulen ebenso wie Felle, Fernseher oder Bücher in seinen Abteilen lagern. Er legt sie hier ab, nimmt sie wieder mit, lagert wieder ein. Jedes Jahr gehen etwa 30 000 Bücher durch seine Hände, jede Woche bewegt er etwa 200 Kubikmeter.

Das ist nicht nur Arbeit für ihn, sondern auch Selbstzweck: "Ich mag das Selbstlagerzentrum, weil die Leute hier flexibel sind. Ich kann kommen und gehen, wann ich will. Außerdem habe ich hier meine Ruhe." Er sei sein eigener Chef beim stillen Müßiggang.

Die fast klinischsaubere Atmosphäre stört ihn dabei wenig, sie hat aus Sicht der Betreiber System. Sie vermittelt nicht nur kühle Vollzugsanstaltsanmutung, sondern auch die Botschaft: Hier ist es sicher. Und dennoch ist Deutschland noch immer ein Entwicklungsland in Sachen Selfstorage. In Großbritannien etwa gibt es 730 Zentren, womit knapp die Hälfte aller 1500 europäischen Selfstorages auf den Britischen Inseln steht. "Aber auch wir streben noch einige Hundert Häuser in Deutschland an", sagt Martin Brunkhorst vom Selfstorage-Verband. Er rechne damit, dass der Markt bundesweit erst in 25 Jahren gesättigt ist.

Bis dahin will Oliver Ahrens, der Sozialarbeiter aus Eimsbüttel, die Dienste des Selbstlagerzentrums nicht mehr in Anspruch nehmen müssen. Tür Nummer 1028 soll nur eine Durchgangsstation sein. Denn sein Traum ist ein Holzhaus mit viel Platz und großer Küche. Viel Platz für seine 400 Platten, das Biedermeier-Mobiliar seines Vaters und den roten Kühlschrank, den er so mag.