Spötter nennen es die Brutstätte der Monotonie. Und doch findet das Reihenhaus, zumal unter Hamburger Familien, immer mehr Anhänger.

Familie Gehrisch hat vor fünf Jahren das verwirklicht, was mancher ihrer Bekannten als eine Art Wohn-GAU empfand: Sie zog aus einem schönen Altbau in Altona aus und in ein Mittelreihenhaus in Neu-Allermöhe-West ein. Spießig sei das, furchtbar langweilig, sagten die Freunde seinerzeit. Mandy Gehrisch lacht, als sie davon erzählt. "Solche Klischees höre ich heute noch manchmal", sagte sie. Und wer der 40 Jahre alten Mutter auf dem Parkplatz vor den vielen neuen Hauszeilen im Osten Hamburgs begegnet, glaubt das schnell: Aufgereiht wie Soldaten stehen in den Vorgärten davor die hölzernen Carports und Sichtzaunelemente. Mal sind sie eckig, mal gebogen: "Narvik-Kiefer einfach" oder "Bretagne-Kiefer mit Bogen" - viel Gestaltungsspielraum lassen die Baumärkte da nicht zu.

Mit Reihenhaus lässt es sich eben schlecht aus der Reihe tanzen: Eine Wohnform, die als Kompromiss erfunden wurde und bei Architekturkritikern gemeinhin so viel Begeisterung hervorruft wie die 13. Wiederholung eines Fernsehkrimis bei den Zuschauern. Man hat alles so oder ähnlich schon einmal gesehen: gleich neben der Eingangstür die Gästetoilette, gegenüber der Treppenflur, hinten rechts - wahlweise auch links - die Küche, geradeaus das hausbreite Wohnzimmer mit Blick in den schmalen Garten, der durch Hecke und hölzernes Gartenhäuschen begrenzt wird. Genauso wie links und rechts beim Nachbarn auch.

Entsprechend gemein klingt der Spott: "Das Reihenhaus gilt aus Sicht großstädtischer Feuilletons und soziologischer Seminaristen als Brutstätte vorstädtischer Langweile und Monotonie", schreibt der Stadtsoziologe Werner Sewing in dem neuen Buch "In deutschen Reihenhäusern" (Callwey-Verlag). Dessen Porträts von 50 höchst unterschiedlichen Reihenhaus-Familien ist Grundlage einer Wanderausstellung, die ab Februar im Hamburger Völkerkundemuseum gezeigt wird. Das Reihenhaus ist offensichtlich angekommen im Bewusstsein von Kunst und Wissenschaft, anerkannt als Teil deutscher Wohnkultur - obwohl es immer wieder auf Nasenrümpfen stößt.

Vor allem bei Leuten, die woanders wohnen: "Wer in der Gesellschaft dabei sein will, muss eben in den hippen Szenevierteln oder großbürgerlichen Quartieren wohnen", sagt Sewing zu den Motiven üblicher Reihenhaus-Nörgler.

Familie Gehrisch wollte sich das Szeneviertel in Altona aber irgendwann nicht mehr leisten. "Auch wenn es schön war dort zu leben", wie Mandy Gehrisch sagt. Gleich nach der Wende war sie als junge Frau aus Dresden nach Hamburg gekommen, lernte ihren Mann kennen und liebte das Leben in dem angesagten Bezirk. Ihre Kinder, heute sechs, 17 und 19 Jahre alt, brauchten aber mehr Platz und die Familie eine größere Wohnung, die mit Teilzeit und Vollzeitjob zu finanzieren ist. "So kamen wir auf Allermöhe und wohnen inzwischen ausgesprochen gerne hier", sagt sie. Der Job in der City ist schnell erreicht, auf der Straße ist Platz für die Kinder zum Spielen, es gibt nette Nachbarn mit ähnlichen Wohnbiografien und draußen an den Badeseen und Wiesen ist man auch ganz fix. Das Klischee vom Reihenhaus stört sie daher längst nicht mehr. Wohl auch deshalb nicht, weil sie mit dieser Wohnform auch wieder so etwas wie eine Trendsetterin ist. In Zeiten, da in wachsenden Städten wie Hamburg Wohnraum knapp geworden ist, der Weg ins Umland aber zu weit und zu teuer, ist das Reihenhaus oft die bessere Alternative. Auch wenn man den Elektrorasenmäher quer durch die Wohnung zerren muss, um den Rasen vor und hinter dem Haus gleichermaßen kurz zu halten.

Solche Nachteile hielt auch Familie Steinhorst nicht ab. Von Stellingen ist die 48-Jährige Andrea Steinhorst mit Mann und Kindern in die Reihenhaussiedlung gleich hinter der Stadtgrenze nach Halstenbek gezogen. Mit der S-Bahn ist sie immer noch in einer halben Stunde am Jungfernstieg und damit schneller als zuvor mit dem Bus von der alten Wohnung im scheinbar zentraleren Stellingen. "Der Umzug ins Reihenhaus war aber vor allem eine Frage des Preises", sagt sie. Es ist wohl das Hauptmotiv vieler Reihenhaus-Erwerber.

Die Ursprünge dieser Wohnform finden sich bei den Briten und den Holländern, bei denen heute noch Reihenhäuser weiter verbreitet sind als in Deutschland. "In England und in den Niederlanden ist das Reihenhaus selbstverständlich und erste Wahl für diejenigen, die die Annehmlichkeiten eines eigenen Hauses mit den Vorteilen eines städtischen oder wenigstens stadtnahen Standortes kombinieren wollen", sagt der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann. Womöglich gibt es dort auch kaum die Reihenhausspötter wie in Deutschland. Und man ist daran gewöhnt, dass man die Nachbarn links und rechts nicht nur sieht, sondern gelegentlich auch hört. Oder gar riecht, wenn sie nur ein paar Meter entfernt ihre Würstchen grillen. Seit dem 18. Jahrhundert werden in England Reihenhäuser gebaut: gutbürgerliche Stadthäuser, aber auch die langen Reihen schmaler Backsteinhäuschen, die sich wie Raupen über das hügelige Gelände im einst ärmeren Osten schlängeln.

Im kontinentalen Europa hingegen entstand gerade für die Arbeiterschaft in der beginnenden Industrialisierung die Mietskaserne als Standard. Mit all den Nachteilen dieses sehr beengten Wohnens. Wie in Hamburg brachen in solchen Städten Cholera-Epidemien aus - während die weit geringere Bewohnerdichte in London und ein modernes System von Abwasserleitungen dazu führte, dass die Stadt im 19. Jahrhundert als gesündeste Metropole der Welt angesehen wurde.

Die schlechten Wohnverhältnisse in den Mietskasernen riefen nach der Jahrhundertwende in Kontinentaleuropa daher Reformer auf den Plan. Ausgehend von der Idee der "gesunden" Gartenstädte mit viel Luft und Grün bauten sie in Stadtnähe neue Siedlungen - mit kleinen Reihenhäusern. Oft als Genossenschaft finanziert oder mit besonderen Mietbedingungen, die ein Wohnrecht über Generationen beinhalteten: Noch heute ist die Siedlung Steenkamp in Altona ein Zeugnis dieser Reformbewegung. Mancher Bewohner der pittoresken und gut 90 Jahre alten Häuser kann auf einen Großvater verweisen, der dort zu den ersten Siedlern gehörte. Eine Art Serienfertigung erwies sich seinerzeit schon als Garant dafür, günstigen Wohnraum mit kleinem Garten für Familien zu schaffen. "Und so, wie die Natur die Siedlung schöner gestalten wird, so möge auch jeder Siedler an sich selbst aufbauen, sich veredeln, Gemeinschaftssinn pflegen und die Jugend zur Freude des Alters erziehen", hieß es 1920 in einer Begleitschrift zum Bau der Siedlung.

Allerdings blieben solche Reihen- und Gartenstadt-Bemühungen in deutschen Städten sehr punktuell. Mit Ausnahme der Hansestadt Bremen, die oft als deutsche Reihenhausstadt bezeichnet wird. Bis in die 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts wurden dort statt Mietskasernen nahezu ausschließlich Reihenhäuser gebaut - großzügige Varianten fürs Bürgertum, kleinere Häuser für die Arbeiter. Noch um 1930 befanden sich mehr als 90 Prozent der Bremer Wohnungen in solchen Kleinhäusern.

Doch anstatt das Bremer Modell zu übernehmen, ging die Stadtentwicklung in Deutschland in eine andere Richtung: "Urbanität durch Dichte" hieß die Losung vieler Stadtplaner nach dem Zweiten Weltkrieg. Wohnungsgesellschaften setzten dies kompromisslos um - zumal die Wohnungsnot viel größer als heute war. Großwohnsiedlungen wie Mümmelmannsberg oder Steilshoop wie in Hamburg wuchsen am Stadtrand. Gleichzeitig setzte eine Stadtflucht in die Dörfer des weiten Umlands ein. Wer es sich leisten konnte, baute im Speckgürtel, vorzugsweise aber ein freistehendes Einfamilienhaus, das dem Ideal der großbürgerlichen Villa oder dem amerikanischen Bungalow am nächsten kam. Doch der Fortzug an den Rand der Metropolen, die Suburbanisierung, schaffte auch große Verkehrsströme der Berufspendler. Und das Häuschen im Grünen ließ sich nur mit einer Arbeitsteilung realisieren, die Soziologen als Hausfrauenmodell bezeichnen: Vati fährt den langen Weg zur Arbeit, Mutti bleibt bei den Kindern.

Ein Modell, das heute nur noch selten funktioniert. Frauen wollen oft nicht mehr den Job gegen ein Leben im Umland-Haus eintauschen. Zudem, so sagt der Hamburger Stadtökonom Dieter Läpple, ist heute die Arbeitswelt schneller geworden. Auch Hochschulabsolventen müssten eher mit wechselnden Jobs oder unsicheren Beschäftigungsverhältnissen klarkommen als noch vor 15 Jahren. Die Nähe zur Stadt, das Ohr am Geschehen zu haben - so etwas wird daher immer wichtiger für die Wohnortwahl, Stadtplaner sprechen derzeit von einer Re-Urbanisierung. Das Leben mitten in der Stadt ist wieder gefragt. Während im weiten Umland die Immobilienpreise fallen, klettern sie in der Städten wie Hamburg steil an. Vor allem in den citynahen Gründerzeitquartieren. Normalverdiener-Familien bleiben dann oft die Randlagen als Kompromiss aus Nähe zur Stadt, Eigentum und genügend Quadratmetern, die mithilfe von Großeltern und Wohnungsbaukreditanstalt noch finanzierbar sind. Eben die Reihenhausgebiete mit gutem Anschluss ans öffentliche Nahverkehrssystem.

So wie in Halstenbek, Niendorf oder Neu-Allermöhe-West, wo Mandy Gehrisch kaum noch der alten Wohnung in Altona nachtrauert. Und von Freunden bekommt sie schon längst nicht mehr zu hören, sie sei spießig und langweilig geworden. Aus einem einfachen Grund, wie sie sagt: "Die wohnen mittlerweile selbst im Reihenhaus."