Das Jugendamt Wandsbek nahm der Alleinerziehenden 2008 das Kind weg. Die Benin-Deutsche weiß nicht, warum. Das Bezirksamt spricht von Kindeswohlgefährdung

Wandsbek. Ihren Sohn Antonio hat Annette Sch. am 9. Dezember zum letzten Mal gesehen. "Wir waren zusammen in der Bücherhalle, haben versucht, miteinander zu plaudern", sagt die gehörlose Mutter, die sich ausschließlich per Gebärdensprache verständigen kann. "Ich habe ihm versprochen, dass wir beim nächsten Mal zusammen über den Weihnachtsmarkt bummeln." Daraus wurde nichts. Das Jugendamt Wandsbek ließ das Wiedersehen von Mutter und Sohn am 16. Dezember "ohne Begründung", so die Mutter, ausfallen.

Wenige Tage später habe sie die Nachricht erhalten, dass ihr Junge nach fast zwei Jahren in einer Pflegefamilie und einem Aufenthalt im Timmendorfer Diagnostikzentrum in einem Kinderheim in Schleswig-Holstein untergebracht worden sei. Kontakt darf sie nicht aufnehmen.

Annette Sch., 42 Jahre alt, ist die Tochter eines Mannes aus Benin und einer deutschen Mutter. Sohn Antonio kam im September 2003 in Hamburg zur Welt. Das Kind besuchte eine Krippe und anschließend eine Kita. Der Junge wuchs zweisprachig auf - lernte die Sprache der Hörenden und die Gebärdensprache der Mutter. "Weil es Kommunikationsprobleme zwischen uns gab, habe ich damals die Familienhilfe um Unterstützung gebeten", sagt Annette Sch. Diese bekam die Alleinerziehende auch - und am 2. Oktober 2008 Besuch von Jugendamtsmitarbeitern. "Die haben mir mitgeteilt, dass sie Antonio aus der Kita abgeholt und in eine Pflegefamilie gebracht hätten. Ich durfte mich nicht verabschieden."

Auf die Frage, warum ihr der Sohn fortgenommen wurde, habe sie keine Antwort bekommen.

Das Bezirksamt Wandsbek darf sich konkret zur Sache nicht äußern, spricht aber von Kindeswohlgefährdung. "Es ist zum Wohle des Kindes entschieden worden", sagt Sprecherin Anne Bauer. "Es gab Gutachten und Gerichtsbeschlüsse, aus denen hervorgeht, dass die Entscheidung, das Kind von der Mutter zu trennen, richtig war."

In den Akten des Anwalts von Annette Sch., David Schneider-Addae-Mensah, ist die Wegnahme des Kindes im Wesentlichen durch eine "eskalierende häusliche Situation" begründet. Zudem sei "das Verhalten der Mutter nicht mehr einschätzbar" gewesen. Von "Suizidgefahr" und "nicht auszuschließender Psychose" ist dort die Rede.

Im Dezember 2008 wurden Annette Sch. das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Erziehungsrecht und die Gesundheitsfürsorge für ihren Sohn Antonio einstweilig vom Familiengericht entzogen. Seitdem kämpft Annette Sch. mit Unterstützung ihrer Schwester Aretha Apithy, eine in Fachkreisen bekannte Erziehungswissenschaftlerin, um Antonio.

Die beiden Frauen und Anwalt Schneider-Addae-Mensah halten die Gutachten, auf die sich der Gerichtsbeschluss beruft, für fragwürdig, allein deswegen, weil die Gutachterin der Gebärdensprache nicht mächtig sei. Sie äußere sich unter anderem grundsätzlich negativ über Gehörlose, so Menschenrechtsexperte Schneider-Addae-Mensah. Zu Annette Sch. soll die Gutachterin geschrieben haben: "Ihr Weltwissen ist eingeschränkter als das von Hörenden." Der Anwalt bezeichnet das Gutachten als dilettantisch. Der Jurist hat für Annette Sch. seinen Referendariatskollegen Bürgermeister Christoph Ahlhaus um Hilfe gebeten.

In der Zwischenzeit verliert Antonio seine Gebärdensprachfertigkeit. "Bei unserem letzten Treffen hat er wohl viel verstanden. Aber er kann kaum noch antworten." Die Kommunikationsschwierigkeiten wachsen mit jedem weiteren Tag. "Die Mutter darf so lange keinen Kontakt aufnehmen, bis es eine Entscheidung zum Sorge- und Umgangsrecht gibt", sagt Anne Bauer.

Für das harte Verhalten des Bezirksamts haben Annette Sch. und Aretha Apithy nur eine Erklärung: "Hier wird eine gehörlose, farbige und alleinerziehende Mutter diskriminiert." Diese Vorwürfe weist das Bezirksamt scharf zurück. "Sie entbehren jeder Grundlage", sagt Anne Bauer. "Wir sind uns der schwierigen Situation bewusst und suchen im Sinne des Kindeswohls nach einer Lösung."

Jetzt hat Aretha Apithy die Aufnahme ihres Neffen beantragt. Mit ihrem eigenen fünfjährigen Sohn lernt sie derzeit die Gebärdensprache, um zwischen Antonio und seiner Mutter dolmetschen zu können, sobald das Kind bei ihr lebt. Ob Antonio vom Heim zur Tante umziehen darf, entscheidet das Oberlandesgericht Hamburg am 6. Januar.