Welche Menschen haben Sie im Jahr 2010 besonders bewegt? Schreiben Sie doch darüber! - Die Anfrage der Redaktion ruft zahlreiche Bilder von Menschen in mir wach, die in diesem Jahr Schlagzeilen gemacht haben: die sportlich Erfolgreichen der olympischen Winterspiele und der Fußball-WM, die verzweifelten Opfer der Naturkatastrophen in Pakistan und auf Haiti, das singende Fräuleinwunder aus Hannover, die Zurückgetretenen aus Politik und Kirche ...

Die Liste der aus den TV-Jahresrückblicken sattsam bekannten Menschen wird lang und länger. Doch es gibt Menschen, die im Jahr 2010 selbst nicht so sehr im Rampenlicht gestanden haben, deren Gesichter mir aber noch gut vor Augen stehen: die Angehörigen der Todesopfer der Loveparade, denen ich beim Gedenkgottesdienst Ende Juli in Duisburg begegnet bin.

Sie haben mich in diesem Jahr besonders bewegt. Sie stehen in diesen Tagen zum ersten Mal vor einem Weihnachtsfest, das sie als Familien oder Freunde ohne diesen einen geliebten Menschen erleben, der sein Leben verloren hat, als er oder sie eigentlich das Leben mit Technomusik feiern wollte. Zum ersten Mal das Fest der Liebe, bei dem ein Platz am Tisch leer bleibt. Das tut bitter weh! Mir ist dieses Gefühl sehr vertraut: Bei uns zu Hause feiern wir zum sechsten Mal das Weihnachtsfest ohne unsere jüngste Tochter Meike. Sie ist im Jahr 2005 im Alter von 22 Jahren an Leukämie gestorben. Auch wenn ihr Platz nun schon seit ein paar Jahren leer bleibt: Diese Lücke bleibt, und sie bleibt schmerzhaft.

Diese Lücke ist wie ein dunkler Schatten mitten im hellen Glanz des Weihnachtsfestes. Wie passt das eigentlich zusammen? Wie kann man damit leben? Weihnachtsfreude und Trennungsschmerz.

Die Weihnachtsgeschichte, die uns der Evangelist Lukas in vertrauten Worten so wunderbar erzählt und die wir heute in den Kirchen landauf, landab wieder ins Gedächtnis rufen, ist auch keine Geschichte im gleißenden Licht.

Es ist eine Geschichte mitten in dunkler Nacht: Jesus Christus kommt nicht im hellen Licht eines Palasts zur Welt. Sein Geburtsort liegt am Rande und im Dunkeln. Gott wird Mensch bei Menschen, die sich gottverlassen fühlen. So erzählt es der Evangelist Lukas in der Bibel. Gott wird Mensch im Schatten des Lebens: als Menschenkind eines jungen Paares, das auf der Reise keinen Raum in der Herberge in Bethlehem gefunden hat.

Das ist die Botschaft von Weihnachten: Gott wird Mensch. Gott wird Mensch und geht unsere Menschenwege mit. Zuerst unsere Menschenwege, auf die oft lange Schatten fallen - die Schatten von Leid, Krankheit und Tod, die Schatten von Unfriede und Ungerechtigkeit. Schatten von Verlust, Verzweiflung und Schmerz. Im Kind in der Krippe ist Gott Mensch geworden, damit wir inmitten all dessen, das uns das Herz schwer macht, Hoffnung haben können: Wir sind nicht alleine.

Es gibt keine gottverlassenen Orte. Das ist die Botschaft von Weihnachten: Im Dunkel unserer unheilen Welt, im Dunkel unseres gefährdeten und zerbrechlichen Lebens zündet Gott selbst ein Hoffnungslicht an, indem er als Mensch zur Welt kommt. Das ist die Botschaft der Heiligen Nacht - damals wie heute: Fürchtet euch nicht! Gottes Licht will auch eure Dunkelheit hell machen. Der Engel Gottes, der den Hirten erschienen ist, bringt euch diese Botschaft.

Um dieses Licht der Hoffnung mitzunehmen in die Dunkelheit ihres Lebens, haben sich die Hirten auf den Weg zum Kind in der Krippe gemacht. Und sie sind frohen Mutes wieder heimgekehrt - den Schatten in und über ihrem Leben zum Trotz und ihnen zur Stärkung auf dem Weg in die Zukunft.

Diese Erfahrung wünsche ich allen, die sich heute selbst auf den Weg zum Kind in der Krippe machen. Die Lücke in unserer Mitte, in unserer Familie, im Freundeskreis bleibt. Aber mitten in die Schatten unseres Schmerzes, unserer Trauer und unserer Sehnsucht leuchtet das Licht aus dem Stall von Bethlehem, in dem Gott Mensch unter Menschen geworden ist. Dieses Licht soll auch die Gesichter der Menschen erhellen, die in diesem Jahr unter dem Weihnachtsbaum Trauer tragen.