Am Heiligen Abend kann man vor den Portalen der Kirchen ein ordentliches Gedränge erleben. Da geht es keineswegs immer friedlich zu: "Diese Leute können doch das ganze Jahr über in die Kirche gehen", schimpft ein zorniger Seltengänger, "dass die nun gerade heute reinwollen, das muss doch nicht sein ...".

Doch, es muss. Der Kirchgang an Heiligabend ist für viele Christen im wahrsten Sinne des Wortes Kult, und zwar aus mindestens drei Gründen: Erstens ist er quasi alternativlos. Zweitens gilt er (auch unter seinen Verächtern) noch immer als der ultimative Einstieg ins Weihnachtsfest: Nur mit der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium entsteht jener Zauber, der zu dieser Nacht gehört. Erst wenn wir vom Kind in der Krippe gehört und "O du fröhliche" gesungen haben, macht Weihnachten Sinn. Drittens ist der Kirchgang der erste Moment, den man als Familie gemeinsam verbringt. Bis dahin war jeder mit eigenen Besorgungen beschäftigt, nun rauft man sich zusammen. Das kann den ersten Stress des Abends bedeuten: Die Tochter ist nicht fertig, der Sohn hat keine Lust, Oma wartet aber schon ungeduldig, und Vater muss noch den Wagen holen. Wenn man dann in der Kirche kaum einen Platz mehr findet, dann muss schon einiges geboten werden:

Es ist die himmlische Verheißung vom Frieden auf Erden, von der Liebe Gottes in einem Menschen, von dem Wunder dieser Nacht. Die Engel verkünden es den Hirten, und diese ziehen los zum Stall, um das Kind in der Krippe zu sehen. Sie knien vor ihm nieder, beten es an und kehren wie verwandelt zu ihren Herden zurück: Dieses Kind war Gottes Sohn, auf den sie so lange gewartet hatten. Alle Welt sollte das erfahren.

Das Glück über diese Geburt berührt uns bis heute tief in unserer Seele, es weckt unsere Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, es erfüllt uns mit Hoffnung und Zuversicht: Wenn Gott zur Welt kommt, dann kann sie nicht verloren gehen, dann kann niemand verloren gehen! Wen wundert es da noch, dass der Seltengänger am Ausgang viel heiterer ist als beim Eingang.

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